Zügen, die wohl keine Phantasie erfinden kann. Würde der Biograph der Heldin ansichtig: dann entstände nichts als ein neues Heft und ein neuer -- Held, welcher ich wäre . . . .
Sie war krank: jener Abend war wie ein Sto߬ vogel auf ihr Herz gefahren und hatte die blutigen Krallen noch nicht herausgezogen. Ihre Seele schien der Engel zu seyn, der die entseelte Hülle eines Frommen hütet. Der Kammerherr begegnete dem Hofmedikus als ob er von keinem Duelleriren wisse. Was sonst Mütter thun, that der Vater: er vergab jedem, der von Stande war und der die Tochter wollte. Der Antrag, den ihm Viktor endlich mach¬ te, frappirte ihn nur, weil er bisher gedacht hatte, dieser verschieb' ihn blos wegen der Ungewißheit über Klotildens Erbschaft und Verwandschaft. Sei¬ ne Antwort bestand in unendlichen Vergnügen, un¬ endlicher Ehre etc. und andern Unendlichkeiten: denn bei ihm war alles eine; daher auch Platner mit Recht behauptet, der Mensch könne im Grunde blos das Endliche nicht denken. Le Baut hätte die Toch¬ ter hergegeben, wenn er auch nicht gewollt hätte: er konnte ins Gesicht nichts abschlagen, nicht ein¬ mal eine Tochter. Auch konnte keiner kommen und um Klotilden ansuchen, der nicht in irgend eines feiner Projekte (seine vier Gehirnkammern lagen bis
Zuͤgen, die wohl keine Phantaſie erfinden kann. Wuͤrde der Biograph der Heldin anſichtig: dann entſtaͤnde nichts als ein neues Heft und ein neuer — Held, welcher ich waͤre . . . .
Sie war krank: jener Abend war wie ein Sto߬ vogel auf ihr Herz gefahren und hatte die blutigen Krallen noch nicht herausgezogen. Ihre Seele ſchien der Engel zu ſeyn, der die entſeelte Huͤlle eines Frommen huͤtet. Der Kammerherr begegnete dem Hofmedikus als ob er von keinem Duelleriren wiſſe. Was ſonſt Muͤtter thun, that der Vater: er vergab jedem, der von Stande war und der die Tochter wollte. Der Antrag, den ihm Viktor endlich mach¬ te, frappirte ihn nur, weil er bisher gedacht hatte, dieſer verſchieb' ihn blos wegen der Ungewißheit uͤber Klotildens Erbſchaft und Verwandſchaft. Sei¬ ne Antwort beſtand in unendlichen Vergnuͤgen, un¬ endlicher Ehre ꝛc. und andern Unendlichkeiten: denn bei ihm war alles eine; daher auch Platner mit Recht behauptet, der Menſch koͤnne im Grunde blos das Endliche nicht denken. Le Baut haͤtte die Toch¬ ter hergegeben, wenn er auch nicht gewollt haͤtte: er konnte ins Geſicht nichts abſchlagen, nicht ein¬ mal eine Tochter. Auch konnte keiner kommen und um Klotilden anſuchen, der nicht in irgend eines feiner Projekte (ſeine vier Gehirnkammern lagen bis
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Zuͤgen, die wohl keine Phantaſie erfinden kann.
Wuͤrde der Biograph der Heldin anſichtig: dann
entſtaͤnde nichts als ein neues Heft und ein neuer
— Held, welcher ich waͤre . . . .
Sie war krank: jener Abend war wie ein Sto߬
vogel auf ihr Herz gefahren und hatte die blutigen
Krallen noch nicht herausgezogen. Ihre Seele ſchien
der Engel zu ſeyn, der die entſeelte Huͤlle eines
Frommen huͤtet. Der Kammerherr begegnete dem
Hofmedikus als ob er von keinem Duelleriren wiſſe.
Was ſonſt Muͤtter thun, that der Vater: er vergab
jedem, der von Stande war und der die Tochter
wollte. Der Antrag, den ihm Viktor endlich mach¬
te, frappirte ihn nur, weil er bisher gedacht hatte,
dieſer verſchieb' ihn blos wegen der Ungewißheit
uͤber Klotildens Erbſchaft und Verwandſchaft. Sei¬
ne Antwort beſtand in unendlichen Vergnuͤgen, un¬
endlicher Ehre ꝛc. und andern Unendlichkeiten: denn
bei ihm war alles eine; daher auch Platner mit
Recht behauptet, der Menſch koͤnne im Grunde blos
das Endliche nicht denken. Le Baut haͤtte die Toch¬
ter hergegeben, wenn er auch nicht gewollt haͤtte:
er konnte ins Geſicht nichts abſchlagen, nicht ein¬
mal eine Tochter. Auch konnte keiner kommen und
um Klotilden anſuchen, der nicht in irgend eines
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/256>, abgerufen am 22.11.2024.
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