selben gar unmöglich; und eben vor diesem Irrthum hat eben der oben gedachte Himmel meine Freunde zu bewahren. Der Materialist muß erstlich alles das aufstellen, was Reimarus umgestoßen hat; er muß im Gehirnbrei die Millionen Bilderkabinetter von 70 Jahren petrifiziren und doch wieder wie Ei¬ dophysika beweglich machen und die gemischten Kar¬ ten Bilder an jede Terzie austheilen; er muß dar¬ auf sehen, daß diese beseelten tanzenden Bilder in Reih und Glied gezwungen werden. Und dann geht doch seine Noth erst recht an: denn nun muß er -- wenn wir ihm auch zugeben, daß die Bilder sich sel¬ ber sehen, die Gedanken sich selber denken, daß jede Vorstellung alle andere und sogar das Ich, wie eine Monade das All, dunkel nachspiegle, und daß sonach jede Idee eine ganze Seele sey -- nun muß er (sa¬ gen wir,) erst einen Generalissimus herschaffen, der dieses unermeßliche flüchtige Ideenheer kommandire und stelle, einen Setzer, der das Ideen-Buch nach einem unbekannten Manuskript setze und, wenn Träu¬ me, Fieber, Leidenschaften alle Schriftkästen in ein¬ ander geschüttet haben, alle Lettern wieder alphabe¬ tisch lege. Diese regelnde Einheit und Kraft -- ohne welche die Symmetrie des Mikrokosmus so wenig als des Makrokosmus, der vorge¬ stellten Welt so wenig wie der wirklichen zu erklären steht -- nennen wir eben einen Geist.
ſelben gar unmoͤglich; und eben vor dieſem Irrthum hat eben der oben gedachte Himmel meine Freunde zu bewahren. Der Materialiſt muß erſtlich alles das aufſtellen, was Reimarus umgeſtoßen hat; er muß im Gehirnbrei die Millionen Bilderkabinetter von 70 Jahren petrifiziren und doch wieder wie Ei¬ dophyſika beweglich machen und die gemiſchten Kar¬ ten Bilder an jede Terzie austheilen; er muß dar¬ auf ſehen, daß dieſe beſeelten tanzenden Bilder in Reih und Glied gezwungen werden. Und dann geht doch ſeine Noth erſt recht an: denn nun muß er — wenn wir ihm auch zugeben, daß die Bilder ſich ſel¬ ber ſehen, die Gedanken ſich ſelber denken, daß jede Vorſtellung alle andere und ſogar das Ich, wie eine Monade das All, dunkel nachſpiegle, und daß ſonach jede Idee eine ganze Seele ſey — nun muß er (ſa¬ gen wir,) erſt einen Generaliſſimus herſchaffen, der dieſes unermeßliche fluͤchtige Ideenheer kommandire und ſtelle, einen Setzer, der das Ideen-Buch nach einem unbekannten Manuſkript ſetze und, wenn Traͤu¬ me, Fieber, Leidenſchaften alle Schriftkaͤſten in ein¬ ander geſchuͤttet haben, alle Lettern wieder alphabe¬ tiſch lege. Dieſe regelnde Einheit und Kraft — ohne welche die Symmetrie des Mikrokosmus ſo wenig als des Makrokosmus, der vorge¬ ſtellten Welt ſo wenig wie der wirklichen zu erklaͤren ſteht — nennen wir eben einen Geiſt.
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ſelben gar unmoͤglich; und eben vor dieſem Irrthum
hat eben der oben gedachte Himmel meine Freunde
zu bewahren. Der Materialiſt muß erſtlich alles
das aufſtellen, was Reimarus umgeſtoßen hat; er
muß im Gehirnbrei die Millionen Bilderkabinetter
von 70 Jahren petrifiziren und doch wieder wie Ei¬
dophyſika beweglich machen und die gemiſchten Kar¬
ten Bilder an jede Terzie austheilen; er muß dar¬
auf ſehen, daß dieſe beſeelten tanzenden Bilder in
Reih und Glied gezwungen werden. Und dann geht
doch ſeine Noth erſt recht an: denn nun muß er —
wenn wir ihm auch zugeben, daß die Bilder ſich ſel¬
ber ſehen, die Gedanken ſich ſelber denken, daß jede
Vorſtellung alle andere und ſogar das Ich, wie eine
Monade das All, dunkel nachſpiegle, und daß ſonach
jede Idee eine ganze Seele ſey — nun muß er (ſa¬
gen wir,) erſt einen Generaliſſimus herſchaffen, der
dieſes unermeßliche fluͤchtige Ideenheer kommandire
und ſtelle, einen Setzer, der das Ideen-Buch nach
einem unbekannten Manuſkript ſetze und, wenn Traͤu¬
me, Fieber, Leidenſchaften alle Schriftkaͤſten in ein¬
ander geſchuͤttet haben, alle Lettern wieder alphabe¬
tiſch lege. Dieſe regelnde Einheit und Kraft —
ohne welche die Symmetrie des Mikrokosmus
ſo wenig als des Makrokosmus, der vorge¬
ſtellten Welt ſo wenig wie der wirklichen
zu erklaͤren ſteht — nennen wir eben einen Geiſt.
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/241>, abgerufen am 21.11.2024.
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