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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

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pfundne. Die Nerven empfinden nicht den Gegen¬
stand, sondern verändern nur den Ort wo er empfun¬
den wird, und ihre Veränderungen und die des Ge¬
hirns sind nur Gegenstände des Empfindens, nicht
Werkzeuge desselben oder gar es selber. Aber
warum? --

Ich habe mehr als ein Darum. Ein Körper ist
nur der Bewegung fähig, ob sie gleich freilich nur
der Schein der gedachten Zusammensetzung und das
Resultat der in einfache Theile verhüllten Kräfte ist.
Die Saite, die Luft, die Gehörknöchelchen, die Gehör¬
nerven erzittern; aber die Erzitterung der letztern erklä¬
ret so wenig das Empfinden eines Tons als das Erzittern
der Saite es könnte, wenn die Seele an diese gekettet
wäre. So ist trotz aller Bilder im Auge und Gehirn
das Ersehen derselben doch noch ungethan und uner¬
klärt; oder ist wohl darum, weil die Sinne Spiegel
voll Bilder sind, etwan das geistige Auge entbehr¬
lich oder ersetzt? Und setzt die Veränderung des Ner¬
vens (d. h. die Empfindung) nicht eine zweite in ei¬
nem zweiten Wesen voraus, wenn sie soll bemerkt
werden? oder stellet sich in diesem Wesen wieder
eine Bewegung die Bewegung vor?

Dieses bringt mich aufs Gehirn. Dieser größte
und gröbste Nerve -- der Resonanzboden aller an¬
dern -- hält der Seele die Schattenrisse derer Bil¬
der vor, die von den andern zugeführt wurden. Im

pfundne. Die Nerven empfinden nicht den Gegen¬
ſtand, ſondern veraͤndern nur den Ort wo er empfun¬
den wird, und ihre Veraͤnderungen und die des Ge¬
hirns ſind nur Gegenſtaͤnde des Empfindens, nicht
Werkzeuge deſſelben oder gar es ſelber. Aber
warum? —

Ich habe mehr als ein Darum. Ein Koͤrper iſt
nur der Bewegung faͤhig, ob ſie gleich freilich nur
der Schein der gedachten Zuſammenſetzung und das
Reſultat der in einfache Theile verhuͤllten Kraͤfte iſt.
Die Saite, die Luft, die Gehoͤrknoͤchelchen, die Gehoͤr¬
nerven erzittern; aber die Erzitterung der letztern erklaͤ¬
ret ſo wenig das Empfinden eines Tons als das Erzittern
der Saite es koͤnnte, wenn die Seele an dieſe gekettet
waͤre. So iſt trotz aller Bilder im Auge und Gehirn
das Erſehen derſelben doch noch ungethan und uner¬
klaͤrt; oder iſt wohl darum, weil die Sinne Spiegel
voll Bilder ſind, etwan das geiſtige Auge entbehr¬
lich oder erſetzt? Und ſetzt die Veraͤnderung des Ner¬
vens (d. h. die Empfindung) nicht eine zweite in ei¬
nem zweiten Weſen voraus, wenn ſie ſoll bemerkt
werden? oder ſtellet ſich in dieſem Weſen wieder
eine Bewegung die Bewegung vor?

Dieſes bringt mich aufs Gehirn. Dieſer groͤßte
und groͤbſte Nerve — der Reſonanzboden aller an¬
dern — haͤlt der Seele die Schattenriſſe derer Bil¬
der vor, die von den andern zugefuͤhrt wurden. Im

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[229/0239] pfundne. Die Nerven empfinden nicht den Gegen¬ ſtand, ſondern veraͤndern nur den Ort wo er empfun¬ den wird, und ihre Veraͤnderungen und die des Ge¬ hirns ſind nur Gegenſtaͤnde des Empfindens, nicht Werkzeuge deſſelben oder gar es ſelber. Aber warum? — Ich habe mehr als ein Darum. Ein Koͤrper iſt nur der Bewegung faͤhig, ob ſie gleich freilich nur der Schein der gedachten Zuſammenſetzung und das Reſultat der in einfache Theile verhuͤllten Kraͤfte iſt. Die Saite, die Luft, die Gehoͤrknoͤchelchen, die Gehoͤr¬ nerven erzittern; aber die Erzitterung der letztern erklaͤ¬ ret ſo wenig das Empfinden eines Tons als das Erzittern der Saite es koͤnnte, wenn die Seele an dieſe gekettet waͤre. So iſt trotz aller Bilder im Auge und Gehirn das Erſehen derſelben doch noch ungethan und uner¬ klaͤrt; oder iſt wohl darum, weil die Sinne Spiegel voll Bilder ſind, etwan das geiſtige Auge entbehr¬ lich oder erſetzt? Und ſetzt die Veraͤnderung des Ner¬ vens (d. h. die Empfindung) nicht eine zweite in ei¬ nem zweiten Weſen voraus, wenn ſie ſoll bemerkt werden? oder ſtellet ſich in dieſem Weſen wieder eine Bewegung die Bewegung vor? Dieſes bringt mich aufs Gehirn. Dieſer groͤßte und groͤbſte Nerve — der Reſonanzboden aller an¬ dern — haͤlt der Seele die Schattenriſſe derer Bil¬ der vor, die von den andern zugefuͤhrt wurden. Im

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/239>, abgerufen am 04.05.2024.