Gewissensbisse aufhebe und daß ein Heiliger so viel Klagen von seinem Gewissen erhalte als der Schlim¬ me, da er darauf sagte: "unsere Entfernung von "der Tugend findet man wie die von der Sonne, durch "genauere Berechnungen bloß größer: aber die "Sonne fließet, aller veränderlichen Rechnungen un¬ "geachtet, immer mit derselben Wärme in unser "Angesicht." -- --
Plötzlich lief der Engländer zu den Spielern und foderte -- um die achromatischen Sprünge und Läu¬ fer seiner Ideen in Musik gesetzt zu sehen -- von ihnen das beste Adagio und eilte in das "Florge¬ "zelt" oben hinauf, das der Lord Horion aus ei¬ sernen Bögen und darüber gespannten schwarzen Dop¬ pelflor erbauen ließ, um für seine damals erkranken¬ den Augen den Sonnenschein in Mondschein umzu¬ setzen. -- -- Da jedes Herz bei der ersten Berüh¬ rung vom Adagio in seelige Thränen zerspringen mußte: so zerlegte die Wonne, die sich zu verhüllen suchte, den ruhenden Kreis und alle flossen auseinan¬ der, um, (jeder unter seinem eignen Ueberlaubung) ungesehen zu lächeln und ungehört zu seufzen -- wie Kurgäste eines Gesundbrunnen zertheilte, begegnete, entfernte man sich in zufälligen Richtungen.
Der schöne Blinde ruhte oben nicht weit von der Nachtigal gleichsam an der Quelle der harmonischen Ströme und Klotilde blickt' ihn trauernd an, so oft
Gewiſſensbiſſe aufhebe und daß ein Heiliger ſo viel Klagen von ſeinem Gewiſſen erhalte als der Schlim¬ me, da er darauf ſagte: »unſere Entfernung von »der Tugend findet man wie die von der Sonne, durch »genauere Berechnungen bloß groͤßer: aber die »Sonne fließet, aller veraͤnderlichen Rechnungen un¬ »geachtet, immer mit derſelben Waͤrme in unſer »Angeſicht.« — —
Ploͤtzlich lief der Englaͤnder zu den Spielern und foderte — um die achromatiſchen Spruͤnge und Laͤu¬ fer ſeiner Ideen in Muſik geſetzt zu ſehen — von ihnen das beſte Adagio und eilte in das »Florge¬ »zelt« oben hinauf, das der Lord Horion aus ei¬ ſernen Boͤgen und daruͤber geſpannten ſchwarzen Dop¬ pelflor erbauen ließ, um fuͤr ſeine damals erkranken¬ den Augen den Sonnenſchein in Mondſchein umzu¬ ſetzen. — — Da jedes Herz bei der erſten Beruͤh¬ rung vom Adagio in ſeelige Thraͤnen zerſpringen mußte: ſo zerlegte die Wonne, die ſich zu verhuͤllen ſuchte, den ruhenden Kreis und alle floſſen auseinan¬ der, um, (jeder unter ſeinem eignen Ueberlaubung) ungeſehen zu laͤcheln und ungehoͤrt zu ſeufzen — wie Kurgaͤſte eines Geſundbrunnen zertheilte, begegnete, entfernte man ſich in zufaͤlligen Richtungen.
Der ſchoͤne Blinde ruhte oben nicht weit von der Nachtigal gleichſam an der Quelle der harmoniſchen Stroͤme und Klotilde blickt' ihn trauernd an, ſo oft
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Gewiſſensbiſſe aufhebe und daß ein Heiliger ſo viel
Klagen von ſeinem Gewiſſen erhalte als der Schlim¬
me, da er darauf ſagte: »unſere Entfernung von
»der Tugend findet man wie die von der Sonne, durch
»genauere Berechnungen bloß groͤßer: aber die
»Sonne fließet, aller veraͤnderlichen Rechnungen un¬
»geachtet, immer mit derſelben Waͤrme in unſer
»Angeſicht.« — —
Ploͤtzlich lief der Englaͤnder zu den Spielern und
foderte — um die achromatiſchen Spruͤnge und Laͤu¬
fer ſeiner Ideen in Muſik geſetzt zu ſehen — von
ihnen das beſte Adagio und eilte in das »Florge¬
»zelt« oben hinauf, das der Lord Horion aus ei¬
ſernen Boͤgen und daruͤber geſpannten ſchwarzen Dop¬
pelflor erbauen ließ, um fuͤr ſeine damals erkranken¬
den Augen den Sonnenſchein in Mondſchein umzu¬
ſetzen. — — Da jedes Herz bei der erſten Beruͤh¬
rung vom Adagio in ſeelige Thraͤnen zerſpringen
mußte: ſo zerlegte die Wonne, die ſich zu verhuͤllen
ſuchte, den ruhenden Kreis und alle floſſen auseinan¬
der, um, (jeder unter ſeinem eignen Ueberlaubung)
ungeſehen zu laͤcheln und ungehoͤrt zu ſeufzen — wie
Kurgaͤſte eines Geſundbrunnen zertheilte, begegnete,
entfernte man ſich in zufaͤlligen Richtungen.
Der ſchoͤne Blinde ruhte oben nicht weit von der
Nachtigal gleichſam an der Quelle der harmoniſchen
Stroͤme und Klotilde blickt' ihn trauernd an, ſo oft
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/195>, abgerufen am 21.11.2024.
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