Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

Beinschellen des Hofes abnehme, mehr zu kuriren
als der Stadt- und Landphysikus und alles gratis
und meistens bei Armen. -- --

Nur auf ein Wort, Leser! Tugend kann nicht der
Glückseligkeit würdig machen, sondern nur würdi¬
ger
, weil die schon Existenz bei uns wie bei den
nicht-moralischen Thieren ein Recht an Freude giebt
-- weil Tugend und Freude inkommensurable Grö¬
ßen sind, und man nicht weiß, wird ein seeliges
Jahrhundert durch ein tugendhaftes Jahrzehend ver¬
dient oder umgekehrt -- weil die Jahre der Freude
vor den Jahren der Tugend laufen, so daß der Tu¬
gendhafte statt der Zukunft erst die Vergangenheit,
statt des Himmels erst die Erde zu verdienen
hätte.

Der Nachmittag lief wie eine lichte Quelle über
bunte Kleinigkeiten wie über Goldsand hinüber, über
kleine Freuden und über große Hofnungen, über
zarte Aufmerksamkeiten und über den Blumenstaub
wohlwollender Feinheiten, der das beste Heftpulver
der Herzen ist. Viktor fühlte, daß eine Geliebte, die
viel Verstand hat, der Liebe einen eignen pikanten
Geschmack mittheile; sie selber fühlte, daß das Herz,
das man mit weichen bekleideten Händen und nicht mit
rohen Griffen abgepflückt, sich besser konservire, so
wie Borsdorferäpfel länger sich halten, die man nur
mit Handschuhen abgenommen. Ob gleich nach mei¬

Hesperus. III. Th. M

Beinſchellen des Hofes abnehme, mehr zu kuriren
als der Stadt- und Landphyſikus und alles gratis
und meiſtens bei Armen. — —

Nur auf ein Wort, Leſer! Tugend kann nicht der
Gluͤckſeligkeit wuͤrdig machen, ſondern nur wuͤrdi¬
ger
, weil die ſchon Exiſtenz bei uns wie bei den
nicht-moraliſchen Thieren ein Recht an Freude giebt
— weil Tugend und Freude inkommenſurable Groͤ¬
ßen ſind, und man nicht weiß, wird ein ſeeliges
Jahrhundert durch ein tugendhaftes Jahrzehend ver¬
dient oder umgekehrt — weil die Jahre der Freude
vor den Jahren der Tugend laufen, ſo daß der Tu¬
gendhafte ſtatt der Zukunft erſt die Vergangenheit,
ſtatt des Himmels erſt die Erde zu verdienen
haͤtte.

Der Nachmittag lief wie eine lichte Quelle uͤber
bunte Kleinigkeiten wie uͤber Goldſand hinuͤber, uͤber
kleine Freuden und uͤber große Hofnungen, uͤber
zarte Aufmerkſamkeiten und uͤber den Blumenſtaub
wohlwollender Feinheiten, der das beſte Heftpulver
der Herzen iſt. Viktor fuͤhlte, daß eine Geliebte, die
viel Verſtand hat, der Liebe einen eignen pikanten
Geſchmack mittheile; ſie ſelber fuͤhlte, daß das Herz,
das man mit weichen bekleideten Haͤnden und nicht mit
rohen Griffen abgepfluͤckt, ſich beſſer konſervire, ſo
wie Borsdorferaͤpfel laͤnger ſich halten, die man nur
mit Handſchuhen abgenommen. Ob gleich nach mei¬

Heſperus. III. Th. M
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0187" n="177"/>
Bein&#x017F;chellen des Hofes abnehme, mehr zu kuriren<lb/>
als der Stadt- und Landphy&#x017F;ikus und alles gratis<lb/>
und mei&#x017F;tens bei Armen. &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
          <p>Nur auf ein Wort, Le&#x017F;er! Tugend kann nicht der<lb/>
Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit <hi rendition="#g">wu&#x0364;rdig</hi> machen, &#x017F;ondern nur <hi rendition="#g">wu&#x0364;rdi¬<lb/>
ger</hi>, weil die &#x017F;chon Exi&#x017F;tenz bei uns wie bei den<lb/>
nicht-morali&#x017F;chen Thieren ein Recht an Freude giebt<lb/>
&#x2014; weil Tugend und Freude inkommen&#x017F;urable Gro&#x0364;¬<lb/>
ßen &#x017F;ind, und man nicht weiß, wird ein &#x017F;eeliges<lb/>
Jahrhundert durch ein tugendhaftes Jahrzehend ver¬<lb/>
dient oder umgekehrt &#x2014; weil die Jahre der Freude<lb/>
vor den Jahren der Tugend laufen, &#x017F;o daß der Tu¬<lb/>
gendhafte &#x017F;tatt der Zukunft er&#x017F;t die Vergangenheit,<lb/>
&#x017F;tatt des Himmels er&#x017F;t die Erde zu verdienen<lb/>
ha&#x0364;tte.</p><lb/>
          <p>Der Nachmittag lief wie eine lichte Quelle u&#x0364;ber<lb/>
bunte Kleinigkeiten wie u&#x0364;ber Gold&#x017F;and hinu&#x0364;ber, u&#x0364;ber<lb/>
kleine Freuden und u&#x0364;ber große Hofnungen, u&#x0364;ber<lb/>
zarte Aufmerk&#x017F;amkeiten und u&#x0364;ber den Blumen&#x017F;taub<lb/>
wohlwollender Feinheiten, der das be&#x017F;te Heftpulver<lb/>
der Herzen i&#x017F;t. Viktor fu&#x0364;hlte, daß eine Geliebte, die<lb/>
viel Ver&#x017F;tand hat, der Liebe einen eignen <hi rendition="#g">pikanten</hi><lb/>
Ge&#x017F;chmack mittheile; &#x017F;ie &#x017F;elber fu&#x0364;hlte, daß das Herz,<lb/>
das man mit weichen bekleideten Ha&#x0364;nden und nicht mit<lb/>
rohen Griffen abgepflu&#x0364;ckt, &#x017F;ich be&#x017F;&#x017F;er kon&#x017F;ervire, &#x017F;o<lb/>
wie Borsdorfera&#x0364;pfel la&#x0364;nger &#x017F;ich halten, die man nur<lb/>
mit Hand&#x017F;chuhen abgenommen. Ob gleich nach mei¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">He&#x017F;perus. <hi rendition="#aq">III</hi>. Th. M<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[177/0187] Beinſchellen des Hofes abnehme, mehr zu kuriren als der Stadt- und Landphyſikus und alles gratis und meiſtens bei Armen. — — Nur auf ein Wort, Leſer! Tugend kann nicht der Gluͤckſeligkeit wuͤrdig machen, ſondern nur wuͤrdi¬ ger, weil die ſchon Exiſtenz bei uns wie bei den nicht-moraliſchen Thieren ein Recht an Freude giebt — weil Tugend und Freude inkommenſurable Groͤ¬ ßen ſind, und man nicht weiß, wird ein ſeeliges Jahrhundert durch ein tugendhaftes Jahrzehend ver¬ dient oder umgekehrt — weil die Jahre der Freude vor den Jahren der Tugend laufen, ſo daß der Tu¬ gendhafte ſtatt der Zukunft erſt die Vergangenheit, ſtatt des Himmels erſt die Erde zu verdienen haͤtte. Der Nachmittag lief wie eine lichte Quelle uͤber bunte Kleinigkeiten wie uͤber Goldſand hinuͤber, uͤber kleine Freuden und uͤber große Hofnungen, uͤber zarte Aufmerkſamkeiten und uͤber den Blumenſtaub wohlwollender Feinheiten, der das beſte Heftpulver der Herzen iſt. Viktor fuͤhlte, daß eine Geliebte, die viel Verſtand hat, der Liebe einen eignen pikanten Geſchmack mittheile; ſie ſelber fuͤhlte, daß das Herz, das man mit weichen bekleideten Haͤnden und nicht mit rohen Griffen abgepfluͤckt, ſich beſſer konſervire, ſo wie Borsdorferaͤpfel laͤnger ſich halten, die man nur mit Handſchuhen abgenommen. Ob gleich nach mei¬ Heſperus. III. Th. M

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/187
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/187>, abgerufen am 21.11.2024.