Tuch aus ihrer Hand und trocknete die aus der Laube tropfenden Farbenkörner mit Blumenstaub umzogen sanft hinweg, und sie gab ihm freiwillig ihre Hand. Als sie ihre Augen voll Thränen auf ihn wandte: ließ er die Thränen stehen; aber sie nahm sie selber und schauete ihn mit einer Liebe an, über die bald die alte Thräne zog, und sagte mit einem Lächeln, das seetig weiter floß: "mein ganzes "Herz ist unaussprechlich gerührt; vergeben Sie "ihm, theuerster Freund, heute alles worin es bis¬ "her dem Ihrigen nicht ähnlich war!" . . .
-- Siehe da wurde die warme Wolke in den Garten gleichsam wie ein ganzer Paradiesesfluß nie¬ dergeschüttet und auf den Strömen floßen spielend Engel herab . . . . und als die Wonne nicht mehr weinen und die Liebe nicht mehr stammeln konnte, und als die Vögel jauchzeten und die Nachtigal durch den Regen schmetterte, und als der Himmel freudig¬ weinend mit Wolkenarmen an die Erde fiel: -- ja, dann zitterten zwei begeisterte Seelen zusammen und ruheten ohne Athem aneinander mit den zuckenden Lippen fest auf den zuckenden Lippen und Wange an Wange gepresset im glühenden zitternden Schauer -- dann quollen endlich wie Lebensblut aus dem ge¬ schwollnen Herzen, große Wonnethränen aus den liebenden Augen in die geliebten über. -- Das Herz maaß die Ewigkeit seines Himmels mit großen won¬
Tuch aus ihrer Hand und trocknete die aus der Laube tropfenden Farbenkoͤrner mit Blumenſtaub umzogen ſanft hinweg, und ſie gab ihm freiwillig ihre Hand. Als ſie ihre Augen voll Thraͤnen auf ihn wandte: ließ er die Thraͤnen ſtehen; aber ſie nahm ſie ſelber und ſchauete ihn mit einer Liebe an, uͤber die bald die alte Thraͤne zog, und ſagte mit einem Laͤcheln, das ſeetig weiter floß: »mein ganzes »Herz iſt unausſprechlich geruͤhrt; vergeben Sie »ihm, theuerſter Freund, heute alles worin es bis¬ »her dem Ihrigen nicht aͤhnlich war!» . . .
— Siehe da wurde die warme Wolke in den Garten gleichſam wie ein ganzer Paradieſesfluß nie¬ dergeſchuͤttet und auf den Stroͤmen floßen ſpielend Engel herab . . . . und als die Wonne nicht mehr weinen und die Liebe nicht mehr ſtammeln konnte, und als die Voͤgel jauchzeten und die Nachtigal durch den Regen ſchmetterte, und als der Himmel freudig¬ weinend mit Wolkenarmen an die Erde fiel: — ja, dann zitterten zwei begeiſterte Seelen zuſammen und ruheten ohne Athem aneinander mit den zuckenden Lippen feſt auf den zuckenden Lippen und Wange an Wange gepreſſet im gluͤhenden zitternden Schauer — dann quollen endlich wie Lebensblut aus dem ge¬ ſchwollnen Herzen, große Wonnethraͤnen aus den liebenden Augen in die geliebten uͤber. — Das Herz maaß die Ewigkeit ſeines Himmels mit großen won¬
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Tuch aus ihrer Hand und trocknete die aus der
Laube tropfenden Farbenkoͤrner mit Blumenſtaub
umzogen ſanft hinweg, und ſie gab ihm freiwillig
ihre Hand. Als ſie ihre Augen voll Thraͤnen auf
ihn wandte: ließ er die Thraͤnen ſtehen; aber ſie
nahm ſie ſelber und ſchauete ihn mit einer Liebe an,
uͤber die bald die alte Thraͤne zog, und ſagte mit
einem Laͤcheln, das ſeetig weiter floß: »mein ganzes
»Herz iſt unausſprechlich geruͤhrt; vergeben Sie
»ihm, theuerſter Freund, heute alles worin es bis¬
»her dem Ihrigen nicht aͤhnlich war!» . . .
— Siehe da wurde die warme Wolke in den
Garten gleichſam wie ein ganzer Paradieſesfluß nie¬
dergeſchuͤttet und auf den Stroͤmen floßen ſpielend
Engel herab . . . . und als die Wonne nicht mehr
weinen und die Liebe nicht mehr ſtammeln konnte,
und als die Voͤgel jauchzeten und die Nachtigal durch
den Regen ſchmetterte, und als der Himmel freudig¬
weinend mit Wolkenarmen an die Erde fiel: — ja,
dann zitterten zwei begeiſterte Seelen zuſammen und
ruheten ohne Athem aneinander mit den zuckenden
Lippen feſt auf den zuckenden Lippen und Wange an
Wange gepreſſet im gluͤhenden zitternden Schauer —
dann quollen endlich wie Lebensblut aus dem ge¬
ſchwollnen Herzen, große Wonnethraͤnen aus den
liebenden Augen in die geliebten uͤber. — Das Herz
maaß die Ewigkeit ſeines Himmels mit großen won¬
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/178>, abgerufen am 02.05.2024.
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