Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

Emanuel ihn errathen hätte, sondern dieser unschul¬
dige-erhabne Mensch wußte nur den Unterschied zwi¬
schen Liebe und Freundschaft nicht und er hätte so
gut von sich als von Viktor gesagt, er liebe sie.
Und eben diese kindliche Unbefangenheit, die einer
ofnen weiblichen Herzenskammer keine Durchgangs¬
gerechtigkeit, keine Breschen ablauerte, sondern die
eignen entblößte, und die keine Geständnisse erangel¬
te, keine verargte, keine benutzte, diese mußte mit
dem gordischen Nervenknoten der Sympathie die
scheueste weibliche Seele an eine so ofne männliche
binden. Ja, ich glaube, Klotilde hätte ihre Liebe
leichter ihrem Lehrer als ihrem Geliebten bekannt.
-- Da ihm dieser Emanuel nun erzählte, wie er ihr
alle Szenen seines vorigen Hierseyns vorgemalet
habe -- und alle seine Entzückungen -- und sein Ge¬
ständniß der Freundschaft für sie -- wie er ihr seine
Briefe vorgelesen und wie der zweite (jener trostlose
in der Nacht des Stamizischen Konzerts) so viele
Thränen in ihre Augen getrieben -- und da Viktor
sah, wie sehr sein Freund ihre Liebe wie einen zu¬
gehenden Tulpenkelch auseinander gehaucht habe:
so fachte dieses seine Liebe für sie, seine Freundschaft
für ihn bis zur Andacht an und er küßte seelig ver¬
legen den Blinden. Aus dieser verdoppelten Liebe
erklärt' sich jetzt Klotildens leichte Einwilligung in
seine Pfingstreise.

Emanuel ihn errathen haͤtte, ſondern dieſer unſchul¬
dige-erhabne Menſch wußte nur den Unterſchied zwi¬
ſchen Liebe und Freundſchaft nicht und er haͤtte ſo
gut von ſich als von Viktor geſagt, er liebe ſie.
Und eben dieſe kindliche Unbefangenheit, die einer
ofnen weiblichen Herzenskammer keine Durchgangs¬
gerechtigkeit, keine Breſchen ablauerte, ſondern die
eignen entbloͤßte, und die keine Geſtaͤndniſſe erangel¬
te, keine verargte, keine benutzte, dieſe mußte mit
dem gordiſchen Nervenknoten der Sympathie die
ſcheueſte weibliche Seele an eine ſo ofne maͤnnliche
binden. Ja, ich glaube, Klotilde haͤtte ihre Liebe
leichter ihrem Lehrer als ihrem Geliebten bekannt.
— Da ihm dieſer Emanuel nun erzaͤhlte, wie er ihr
alle Szenen ſeines vorigen Hierſeyns vorgemalet
habe — und alle ſeine Entzuͤckungen — und ſein Ge¬
ſtaͤndniß der Freundſchaft fuͤr ſie — wie er ihr ſeine
Briefe vorgeleſen und wie der zweite (jener troſtloſe
in der Nacht des Stamiziſchen Konzerts) ſo viele
Thraͤnen in ihre Augen getrieben — und da Viktor
ſah, wie ſehr ſein Freund ihre Liebe wie einen zu¬
gehenden Tulpenkelch auseinander gehaucht habe:
ſo fachte dieſes ſeine Liebe fuͤr ſie, ſeine Freundſchaft
fuͤr ihn bis zur Andacht an und er kuͤßte ſeelig ver¬
legen den Blinden. Aus dieſer verdoppelten Liebe
erklaͤrt' ſich jetzt Klotildens leichte Einwilligung in
ſeine Pfingſtreiſe.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0140" n="130"/>
Emanuel ihn errathen ha&#x0364;tte, &#x017F;ondern die&#x017F;er un&#x017F;chul¬<lb/>
dige-erhabne Men&#x017F;ch wußte nur den Unter&#x017F;chied zwi¬<lb/>
&#x017F;chen Liebe und Freund&#x017F;chaft nicht und er ha&#x0364;tte &#x017F;o<lb/>
gut von &#x017F;ich als von Viktor ge&#x017F;agt, er liebe &#x017F;ie.<lb/>
Und eben die&#x017F;e kindliche Unbefangenheit, die einer<lb/>
ofnen weiblichen Herzenskammer keine Durchgangs¬<lb/>
gerechtigkeit, keine Bre&#x017F;chen ablauerte, &#x017F;ondern die<lb/>
eignen entblo&#x0364;ßte, und die keine Ge&#x017F;ta&#x0364;ndni&#x017F;&#x017F;e erangel¬<lb/>
te, keine verargte, keine benutzte, die&#x017F;e mußte mit<lb/>
dem gordi&#x017F;chen Nervenknoten der Sympathie die<lb/>
&#x017F;cheue&#x017F;te weibliche Seele an eine &#x017F;o ofne ma&#x0364;nnliche<lb/>
binden. Ja, ich glaube, Klotilde ha&#x0364;tte ihre Liebe<lb/>
leichter ihrem Lehrer als ihrem Geliebten bekannt.<lb/>
&#x2014; Da ihm die&#x017F;er Emanuel nun erza&#x0364;hlte, wie er ihr<lb/>
alle Szenen &#x017F;eines vorigen Hier&#x017F;eyns vorgemalet<lb/>
habe &#x2014; und alle &#x017F;eine Entzu&#x0364;ckungen &#x2014; und &#x017F;ein Ge¬<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndniß der Freund&#x017F;chaft fu&#x0364;r &#x017F;ie &#x2014; wie er ihr &#x017F;eine<lb/>
Briefe vorgele&#x017F;en und wie der zweite (jener tro&#x017F;tlo&#x017F;e<lb/>
in der Nacht des Stamizi&#x017F;chen Konzerts) &#x017F;o viele<lb/>
Thra&#x0364;nen in ihre Augen getrieben &#x2014; und da Viktor<lb/>
&#x017F;ah, wie &#x017F;ehr &#x017F;ein Freund ihre Liebe wie einen zu¬<lb/>
gehenden Tulpenkelch auseinander gehaucht habe:<lb/>
&#x017F;o fachte die&#x017F;es &#x017F;eine Liebe fu&#x0364;r &#x017F;ie, &#x017F;eine Freund&#x017F;chaft<lb/>
fu&#x0364;r ihn bis zur Andacht an und er ku&#x0364;ßte &#x017F;eelig ver¬<lb/>
legen den Blinden. Aus die&#x017F;er verdoppelten Liebe<lb/>
erkla&#x0364;rt' &#x017F;ich jetzt Klotildens leichte Einwilligung in<lb/>
&#x017F;eine Pfing&#x017F;trei&#x017F;e.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[130/0140] Emanuel ihn errathen haͤtte, ſondern dieſer unſchul¬ dige-erhabne Menſch wußte nur den Unterſchied zwi¬ ſchen Liebe und Freundſchaft nicht und er haͤtte ſo gut von ſich als von Viktor geſagt, er liebe ſie. Und eben dieſe kindliche Unbefangenheit, die einer ofnen weiblichen Herzenskammer keine Durchgangs¬ gerechtigkeit, keine Breſchen ablauerte, ſondern die eignen entbloͤßte, und die keine Geſtaͤndniſſe erangel¬ te, keine verargte, keine benutzte, dieſe mußte mit dem gordiſchen Nervenknoten der Sympathie die ſcheueſte weibliche Seele an eine ſo ofne maͤnnliche binden. Ja, ich glaube, Klotilde haͤtte ihre Liebe leichter ihrem Lehrer als ihrem Geliebten bekannt. — Da ihm dieſer Emanuel nun erzaͤhlte, wie er ihr alle Szenen ſeines vorigen Hierſeyns vorgemalet habe — und alle ſeine Entzuͤckungen — und ſein Ge¬ ſtaͤndniß der Freundſchaft fuͤr ſie — wie er ihr ſeine Briefe vorgeleſen und wie der zweite (jener troſtloſe in der Nacht des Stamiziſchen Konzerts) ſo viele Thraͤnen in ihre Augen getrieben — und da Viktor ſah, wie ſehr ſein Freund ihre Liebe wie einen zu¬ gehenden Tulpenkelch auseinander gehaucht habe: ſo fachte dieſes ſeine Liebe fuͤr ſie, ſeine Freundſchaft fuͤr ihn bis zur Andacht an und er kuͤßte ſeelig ver¬ legen den Blinden. Aus dieſer verdoppelten Liebe erklaͤrt' ſich jetzt Klotildens leichte Einwilligung in ſeine Pfingſtreiſe.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/140
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/140>, abgerufen am 04.05.2024.