Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

sen zu brauchen ist, zu gar nichts; inzwischen will
er doch, wenn er auch einen Klopstock und Göthe
nicht schätzen kann, in müßigen Stunden einen gu¬
ten Knüttelvers und Leberreim nicht verachten. Ei¬
ne solche glückliche robuste Seelen-Konstituzion,
worin man weniger seinen Geist erhöhen will als sei¬
nen Pacht, macht es freilich begreiflich, wie es Prä¬
servative geben kann, vermittelst deren der Flachsen¬
finger allein (wie Sokrates) in der Pest der Em¬
pfindsamkeit unangefochten herumwandelte. Der volle
Mond machte bei ihnen volle Krebse aber keine volle
Herzen und das was sie darin pflanzten, damit er
den Wachsthum begünstigte, war nicht Liebe, son¬
dern -- Kohlrüben. Der ächte Klein-Wiener zielt
nach viel nähern Schießscheiben als nach dieser dro¬
ben. Geheirathet wird da mit wahrer Lust, ohne
daß man sich vorher todtgeschossen oder todtgeseufzet
-- man kennt keine Impedimenta der Liebe als ka¬
nonische -- die weibliche Tugend ist ein ceinturon,
der so lange halten soll als der Geschlechtsname der
Tochter -- die Herzen der Töchter sind da wie Cou¬
verts, die sich, wenn sie einmal an einen Herrn
adressirt waren, leicht umstülpen lassen, damit man
darauf die Aufschrift an einen andern Menschen ma¬
che -- die Mädgen lieben da nicht aus Koketterie
sondern aus Einfalt allen Teufel, ausgenommen
arme Teufel . . .

ſen zu brauchen iſt, zu gar nichts; inzwiſchen will
er doch, wenn er auch einen Klopſtock und Goͤthe
nicht ſchaͤtzen kann, in muͤßigen Stunden einen gu¬
ten Knuͤttelvers und Leberreim nicht verachten. Ei¬
ne ſolche gluͤckliche robuſte Seelen-Konſtituzion,
worin man weniger ſeinen Geiſt erhoͤhen will als ſei¬
nen Pacht, macht es freilich begreiflich, wie es Praͤ¬
ſervative geben kann, vermittelſt deren der Flachſen¬
finger allein (wie Sokrates) in der Peſt der Em¬
pfindſamkeit unangefochten herumwandelte. Der volle
Mond machte bei ihnen volle Krebſe aber keine volle
Herzen und das was ſie darin pflanzten, damit er
den Wachsthum beguͤnſtigte, war nicht Liebe, ſon¬
dern — Kohlruͤben. Der aͤchte Klein-Wiener zielt
nach viel naͤhern Schießſcheiben als nach dieſer dro¬
ben. Geheirathet wird da mit wahrer Luſt, ohne
daß man ſich vorher todtgeſchoſſen oder todtgeſeufzet
— man kennt keine Impedimenta der Liebe als ka¬
noniſche — die weibliche Tugend iſt ein ceinturon,
der ſo lange halten ſoll als der Geſchlechtsname der
Tochter — die Herzen der Toͤchter ſind da wie Cou¬
verts, die ſich, wenn ſie einmal an einen Herrn
adreſſirt waren, leicht umſtuͤlpen laſſen, damit man
darauf die Aufſchrift an einen andern Menſchen ma¬
che — die Maͤdgen lieben da nicht aus Koketterie
ſondern aus Einfalt allen Teufel, ausgenommen
arme Teufel . . .

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0072" n="62"/>
&#x017F;en zu brauchen i&#x017F;t, zu gar nichts; inzwi&#x017F;chen will<lb/>
er doch, wenn er auch einen Klop&#x017F;tock und Go&#x0364;the<lb/>
nicht &#x017F;cha&#x0364;tzen kann, in mu&#x0364;ßigen Stunden einen gu¬<lb/>
ten Knu&#x0364;ttelvers und Leberreim nicht verachten. Ei¬<lb/>
ne &#x017F;olche glu&#x0364;ckliche robu&#x017F;te Seelen-Kon&#x017F;tituzion,<lb/>
worin man weniger &#x017F;einen Gei&#x017F;t erho&#x0364;hen will als &#x017F;ei¬<lb/>
nen Pacht, macht es freilich begreiflich, wie es Pra&#x0364;¬<lb/>
&#x017F;ervative geben kann, vermittel&#x017F;t deren der Flach&#x017F;en¬<lb/>
finger allein (wie Sokrates) in der Pe&#x017F;t der Em¬<lb/>
pfind&#x017F;amkeit unangefochten herumwandelte. Der volle<lb/>
Mond machte bei ihnen volle Kreb&#x017F;e aber keine volle<lb/>
Herzen und das was &#x017F;ie darin pflanzten, damit er<lb/>
den Wachsthum begu&#x0364;n&#x017F;tigte, war nicht Liebe, &#x017F;on¬<lb/>
dern &#x2014; Kohlru&#x0364;ben. Der a&#x0364;chte Klein-Wiener zielt<lb/>
nach viel na&#x0364;hern Schieß&#x017F;cheiben als nach die&#x017F;er dro¬<lb/>
ben. Geheirathet wird da mit wahrer Lu&#x017F;t, ohne<lb/>
daß man &#x017F;ich vorher todtge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en oder todtge&#x017F;eufzet<lb/>
&#x2014; man kennt keine Impedimenta der Liebe als ka¬<lb/>
noni&#x017F;che &#x2014; die weibliche Tugend i&#x017F;t ein <hi rendition="#aq">ceinturon</hi>,<lb/>
der &#x017F;o lange halten &#x017F;oll als der Ge&#x017F;chlechtsname der<lb/>
Tochter &#x2014; die Herzen der To&#x0364;chter &#x017F;ind da wie Cou¬<lb/>
verts, die &#x017F;ich, wenn &#x017F;ie einmal an einen Herrn<lb/>
adre&#x017F;&#x017F;irt waren, leicht um&#x017F;tu&#x0364;lpen la&#x017F;&#x017F;en, damit man<lb/>
darauf die Auf&#x017F;chrift an einen andern Men&#x017F;chen ma¬<lb/>
che &#x2014; die Ma&#x0364;dgen lieben da nicht aus Koketterie<lb/>
&#x017F;ondern aus Einfalt allen Teufel, ausgenommen<lb/>
arme Teufel . . .</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[62/0072] ſen zu brauchen iſt, zu gar nichts; inzwiſchen will er doch, wenn er auch einen Klopſtock und Goͤthe nicht ſchaͤtzen kann, in muͤßigen Stunden einen gu¬ ten Knuͤttelvers und Leberreim nicht verachten. Ei¬ ne ſolche gluͤckliche robuſte Seelen-Konſtituzion, worin man weniger ſeinen Geiſt erhoͤhen will als ſei¬ nen Pacht, macht es freilich begreiflich, wie es Praͤ¬ ſervative geben kann, vermittelſt deren der Flachſen¬ finger allein (wie Sokrates) in der Peſt der Em¬ pfindſamkeit unangefochten herumwandelte. Der volle Mond machte bei ihnen volle Krebſe aber keine volle Herzen und das was ſie darin pflanzten, damit er den Wachsthum beguͤnſtigte, war nicht Liebe, ſon¬ dern — Kohlruͤben. Der aͤchte Klein-Wiener zielt nach viel naͤhern Schießſcheiben als nach dieſer dro¬ ben. Geheirathet wird da mit wahrer Luſt, ohne daß man ſich vorher todtgeſchoſſen oder todtgeſeufzet — man kennt keine Impedimenta der Liebe als ka¬ noniſche — die weibliche Tugend iſt ein ceinturon, der ſo lange halten ſoll als der Geſchlechtsname der Tochter — die Herzen der Toͤchter ſind da wie Cou¬ verts, die ſich, wenn ſie einmal an einen Herrn adreſſirt waren, leicht umſtuͤlpen laſſen, damit man darauf die Aufſchrift an einen andern Menſchen ma¬ che — die Maͤdgen lieben da nicht aus Koketterie ſondern aus Einfalt allen Teufel, ausgenommen arme Teufel . . .

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/72
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/72>, abgerufen am 02.05.2024.