Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

er einwal im Finstern einen jungen Weber in der
Schenke aus dem Bette heraus mit seiner Badine
erstechen, weil der Weber Nachts das fürstliche Bet¬
te verwechselt hatte mit einem von friedlicherem
Inhalt. Uebrigens sammelten sich jetzt alle Stralen
seiner Zuneigung im einzigen Menschen von Stande,
im einzigen Beherzten und Vertrauten, den er hatte,
in Viktor, zum Fokus. Mein Held aber hatte über¬
all zu genießen, -- wenigstens den Gedanken an St.
Lüne --, überall zu essen -- wenigstens auf einem
Obstbaum -- überall zu lesen -- und warens nur
Feuersegen an der Thüre, alte Kalender an der
Wand, Ermahnungen zur Wohlthätigkeit über Al¬
mosenbüchsen --, überall zu denken -- über das
Reise-Paar, über die vier Jahrszeiten-Akte der
Natur, die jährlich wieder gegeben werden, über
die tausend Akte im Menschen, die nie wiederkeh¬
ren. . . . .

"St. Lüne!" schrie Jenner, froh, daß er nur
wieder einen Weltmann, le Baut, sehen sollte. Auf
die Emigranten-Maske war er selber verfallen, um
den Kammerherrn, bei dem er sich zuletzt für einen
Fürsten-Erbfeind ausgeben wollte, besser auszuholen.
Wäre in le Bauts Seele ein höherer Adel als der
heraldische gewesen -- oder hätte Viktor nicht ge¬
wiß gewußt, daß der Kammerherr den Fürsten auf
den ersten Blick erkennen würde -- und daß ers

er einwal im Finſtern einen jungen Weber in der
Schenke aus dem Bette heraus mit ſeiner Badine
erſtechen, weil der Weber Nachts das fuͤrſtliche Bet¬
te verwechſelt hatte mit einem von friedlicherem
Inhalt. Uebrigens ſammelten ſich jetzt alle Stralen
ſeiner Zuneigung im einzigen Menſchen von Stande,
im einzigen Beherzten und Vertrauten, den er hatte,
in Viktor, zum Fokus. Mein Held aber hatte uͤber¬
all zu genießen, — wenigſtens den Gedanken an St.
Luͤne —, uͤberall zu eſſen — wenigſtens auf einem
Obſtbaum — uͤberall zu leſen — und warens nur
Feuerſegen an der Thuͤre, alte Kalender an der
Wand, Ermahnungen zur Wohlthaͤtigkeit uͤber Al¬
moſenbuͤchſen —, uͤberall zu denken — uͤber das
Reiſe-Paar, uͤber die vier Jahrszeiten-Akte der
Natur, die jaͤhrlich wieder gegeben werden, uͤber
die tauſend Akte im Menſchen, die nie wiederkeh¬
ren. . . . .

»St. Luͤne!» ſchrie Jenner, froh, daß er nur
wieder einen Weltmann, le Baut, ſehen ſollte. Auf
die Emigranten-Maske war er ſelber verfallen, um
den Kammerherrn, bei dem er ſich zuletzt fuͤr einen
Fuͤrſten-Erbfeind ausgeben wollte, beſſer auszuholen.
Waͤre in le Bauts Seele ein hoͤherer Adel als der
heraldiſche geweſen — oder haͤtte Viktor nicht ge¬
wiß gewußt, daß der Kammerherr den Fuͤrſten auf
den erſten Blick erkennen wuͤrde — und daß ers

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0064" n="54"/>
er einwal im Fin&#x017F;tern einen jungen Weber in der<lb/>
Schenke aus dem Bette heraus mit &#x017F;einer Badine<lb/>
er&#x017F;techen, weil der Weber Nachts das fu&#x0364;r&#x017F;tliche Bet¬<lb/>
te verwech&#x017F;elt hatte mit einem von friedlicherem<lb/>
Inhalt. Uebrigens &#x017F;ammelten &#x017F;ich jetzt alle Stralen<lb/>
&#x017F;einer Zuneigung im einzigen Men&#x017F;chen von Stande,<lb/>
im einzigen Beherzten und Vertrauten, den er hatte,<lb/>
in Viktor, zum Fokus. Mein Held aber hatte u&#x0364;ber¬<lb/>
all zu genießen, &#x2014; wenig&#x017F;tens den Gedanken an St.<lb/>
Lu&#x0364;ne &#x2014;, u&#x0364;berall zu e&#x017F;&#x017F;en &#x2014; wenig&#x017F;tens auf einem<lb/>
Ob&#x017F;tbaum &#x2014; u&#x0364;berall zu le&#x017F;en &#x2014; und warens nur<lb/>
Feuer&#x017F;egen an der Thu&#x0364;re, alte Kalender an der<lb/>
Wand, Ermahnungen zur Wohltha&#x0364;tigkeit u&#x0364;ber Al¬<lb/>
mo&#x017F;enbu&#x0364;ch&#x017F;en &#x2014;, u&#x0364;berall zu denken &#x2014; u&#x0364;ber das<lb/>
Rei&#x017F;e-Paar, u&#x0364;ber die vier Jahrszeiten-Akte der<lb/>
Natur, die ja&#x0364;hrlich wieder gegeben werden, u&#x0364;ber<lb/>
die tau&#x017F;end Akte im Men&#x017F;chen, die nie wiederkeh¬<lb/>
ren. . . . .</p><lb/>
            <p>»St. Lu&#x0364;ne!» &#x017F;chrie Jenner, froh, daß er nur<lb/>
wieder einen Weltmann, le Baut, &#x017F;ehen &#x017F;ollte. Auf<lb/>
die Emigranten-Maske war er &#x017F;elber verfallen, um<lb/>
den Kammerherrn, bei dem er &#x017F;ich zuletzt fu&#x0364;r einen<lb/>
Fu&#x0364;r&#x017F;ten-Erbfeind ausgeben wollte, be&#x017F;&#x017F;er auszuholen.<lb/>
Wa&#x0364;re in le Bauts Seele ein ho&#x0364;herer Adel als der<lb/>
heraldi&#x017F;che gewe&#x017F;en &#x2014; oder ha&#x0364;tte Viktor nicht ge¬<lb/>
wiß gewußt, daß der Kammerherr den Fu&#x0364;r&#x017F;ten auf<lb/>
den er&#x017F;ten Blick erkennen wu&#x0364;rde &#x2014; und daß ers<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[54/0064] er einwal im Finſtern einen jungen Weber in der Schenke aus dem Bette heraus mit ſeiner Badine erſtechen, weil der Weber Nachts das fuͤrſtliche Bet¬ te verwechſelt hatte mit einem von friedlicherem Inhalt. Uebrigens ſammelten ſich jetzt alle Stralen ſeiner Zuneigung im einzigen Menſchen von Stande, im einzigen Beherzten und Vertrauten, den er hatte, in Viktor, zum Fokus. Mein Held aber hatte uͤber¬ all zu genießen, — wenigſtens den Gedanken an St. Luͤne —, uͤberall zu eſſen — wenigſtens auf einem Obſtbaum — uͤberall zu leſen — und warens nur Feuerſegen an der Thuͤre, alte Kalender an der Wand, Ermahnungen zur Wohlthaͤtigkeit uͤber Al¬ moſenbuͤchſen —, uͤberall zu denken — uͤber das Reiſe-Paar, uͤber die vier Jahrszeiten-Akte der Natur, die jaͤhrlich wieder gegeben werden, uͤber die tauſend Akte im Menſchen, die nie wiederkeh¬ ren. . . . . »St. Luͤne!» ſchrie Jenner, froh, daß er nur wieder einen Weltmann, le Baut, ſehen ſollte. Auf die Emigranten-Maske war er ſelber verfallen, um den Kammerherrn, bei dem er ſich zuletzt fuͤr einen Fuͤrſten-Erbfeind ausgeben wollte, beſſer auszuholen. Waͤre in le Bauts Seele ein hoͤherer Adel als der heraldiſche geweſen — oder haͤtte Viktor nicht ge¬ wiß gewußt, daß der Kammerherr den Fuͤrſten auf den erſten Blick erkennen wuͤrde — und daß ers

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/64
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/64>, abgerufen am 02.05.2024.