samine, die das Schicksal an ihr wie wir an Ge¬ wächsen, vor der Verpflanzung in eine andre Erde verkürzt -- und die tausend Honiggefäße schöner Ge¬ danken. Und da er an alle ihre bedeckten Tugenden auf einmal dachte, an die Herrschaft ihrer weibli¬ chen Vernunft über ihre Empfindsamkeit, an ihr leichtes Einwilligen in den Ball, den ihr jetzt der Fürst, so wie in die Schminke, die ihr sonst die Fürstin aufgedrungen, und an ihre Gefälligkeit, so bald sie nichts aufzuopfern brauchte wie sich: und da er sich vorhielt, daß sie, nicht ähnlich den Hof- und Stadtweibern, die wie Gewächse sich ans Fen¬ ster des Gewächshauses nach dem Lichte aussprei¬ zen, sondern ähnlich den Frühlingsblumen gern im Schatten blühe und doch die Liebe zum Landleben so wenig wie ihre Bescheidenheit zur Schau aus¬ lege: so mußt' er das Auge abwenden von der zar¬ ten aufgerichteten Blume, auf die der Tod den Lei¬ chenstein nieder warf, von der schönsten Seele, die ihren Werth noch nicht im Spiegel einer gleichen sah, vom sterbenden Herzen, das doch nicht glück¬ lich war.
Da stieg freilich der Gedanke, vor dem er zu¬ sammenfuhr; wie ein Sturm empor: "Ich will ihr's "heute sagen, wie gut sie ist -- o ich seh' sie doch "nicht wieder und sie stirbt sonst von sich unge¬
ſamine, die das Schickſal an ihr wie wir an Ge¬ waͤchſen, vor der Verpflanzung in eine andre Erde verkuͤrzt — und die tauſend Honiggefaͤße ſchoͤner Ge¬ danken. Und da er an alle ihre bedeckten Tugenden auf einmal dachte, an die Herrſchaft ihrer weibli¬ chen Vernunft uͤber ihre Empfindſamkeit, an ihr leichtes Einwilligen in den Ball, den ihr jetzt der Fuͤrſt, ſo wie in die Schminke, die ihr ſonſt die Fuͤrſtin aufgedrungen, und an ihre Gefaͤlligkeit, ſo bald ſie nichts aufzuopfern brauchte wie ſich: und da er ſich vorhielt, daß ſie, nicht aͤhnlich den Hof- und Stadtweibern, die wie Gewaͤchſe ſich ans Fen¬ ſter des Gewaͤchshauſes nach dem Lichte ausſprei¬ zen, ſondern aͤhnlich den Fruͤhlingsblumen gern im Schatten bluͤhe und doch die Liebe zum Landleben ſo wenig wie ihre Beſcheidenheit zur Schau aus¬ lege: ſo mußt' er das Auge abwenden von der zar¬ ten aufgerichteten Blume, auf die der Tod den Lei¬ chenſtein nieder warf, von der ſchoͤnſten Seele, die ihren Werth noch nicht im Spiegel einer gleichen ſah, vom ſterbenden Herzen, das doch nicht gluͤck¬ lich war.
Da ſtieg freilich der Gedanke, vor dem er zu¬ ſammenfuhr; wie ein Sturm empor: »Ich will ihr's »heute ſagen, wie gut ſie iſt — o ich ſeh' ſie doch »nicht wieder und ſie ſtirbt ſonſt von ſich unge¬
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ſamine, die das Schickſal an ihr wie wir an Ge¬
waͤchſen, vor der Verpflanzung in eine andre Erde
verkuͤrzt — und die tauſend Honiggefaͤße ſchoͤner Ge¬
danken. Und da er an alle ihre bedeckten Tugenden
auf einmal dachte, an die Herrſchaft ihrer weibli¬
chen Vernunft uͤber ihre Empfindſamkeit, an ihr
leichtes Einwilligen in den Ball, den ihr jetzt der
Fuͤrſt, ſo wie in die Schminke, die ihr ſonſt die
Fuͤrſtin aufgedrungen, und an ihre Gefaͤlligkeit, ſo
bald ſie nichts aufzuopfern brauchte wie ſich: und
da er ſich vorhielt, daß ſie, nicht aͤhnlich den Hof-
und Stadtweibern, die wie Gewaͤchſe ſich ans Fen¬
ſter des Gewaͤchshauſes nach dem Lichte ausſprei¬
zen, ſondern aͤhnlich den Fruͤhlingsblumen gern im
Schatten bluͤhe und doch die Liebe zum Landleben
ſo wenig wie ihre Beſcheidenheit zur Schau aus¬
lege: ſo mußt' er das Auge abwenden von der zar¬
ten aufgerichteten Blume, auf die der Tod den Lei¬
chenſtein nieder warf, von der ſchoͤnſten Seele, die
ihren Werth noch nicht im Spiegel einer gleichen
ſah, vom ſterbenden Herzen, das doch nicht gluͤck¬
lich war.
Da ſtieg freilich der Gedanke, vor dem er zu¬
ſammenfuhr; wie ein Sturm empor: »Ich will ihr's
»heute ſagen, wie gut ſie iſt — o ich ſeh' ſie doch
»nicht wieder und ſie ſtirbt ſonſt von ſich unge¬
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/389>, abgerufen am 24.11.2024.
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