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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

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"wir auch eins haben, daß wir hier bleiben und
"die Auflösung beobachten." --

Aber seine Fassung überlebte in jedem Balle
kaum die Menuet. Nach dem ersten Geräusch, we¬
nigstens um die Geisterstunde war allemal seine
ganze Seele in eine eigne poetische der Augen kaum
mächtige Schwermuth zersetzt. Ausser den Tönen
kann ich noch die Bewegung zum Erläutern dieser
Erscheinung brauchen: alle Bewegung ist erstlich er¬
haben -- nemlich die von großen Massen oder viel¬
mehr jede schnelle Bewegung giebt dem Gegenstand
die Größe des durcheilten Raums, daher wegen des
Kontrastes mit dem Zwecke bewegte Gegenstände ko¬
mischer sind als ruhige -- Zweitens das Bewegen
der Menschen stellte ihm ihr Vorüberflattern, ihr
Fliehen in die Gräber dar. Er stand oft zu Nachts
melancholisch unten an Häusern, in deren zweiten
Stockwerk man tanzte, und sah hinauf und das
Vorüberschweben freudiger Köpfe war ihm der Gau¬
kelsprung der Irrlichter auf dem Kirchhofe.

Heute fühlte er das bei einer zerschmolzenen
überlaufenden Seele noch eher als sonst. Die An¬
glaise, worin aus der Kolonne ein Paar nach dem
andern verschwindet, war ja das Bild unsers schattig¬
ten Lebenu, in das wir alle ausziehen mit Trommeln

»wir auch eins haben, daß wir hier bleiben und
»die Aufloͤſung beobachten.« —

Aber ſeine Faſſung uͤberlebte in jedem Balle
kaum die Menuet. Nach dem erſten Geraͤuſch, we¬
nigſtens um die Geiſterſtunde war allemal ſeine
ganze Seele in eine eigne poetiſche der Augen kaum
maͤchtige Schwermuth zerſetzt. Auſſer den Toͤnen
kann ich noch die Bewegung zum Erlaͤutern dieſer
Erſcheinung brauchen: alle Bewegung iſt erſtlich er¬
haben — nemlich die von großen Maſſen oder viel¬
mehr jede ſchnelle Bewegung giebt dem Gegenſtand
die Groͤße des durcheilten Raums, daher wegen des
Kontraſtes mit dem Zwecke bewegte Gegenſtaͤnde ko¬
miſcher ſind als ruhige — Zweitens das Bewegen
der Menſchen ſtellte ihm ihr Voruͤberflattern, ihr
Fliehen in die Graͤber dar. Er ſtand oft zu Nachts
melancholiſch unten an Haͤuſern, in deren zweiten
Stockwerk man tanzte, und ſah hinauf und das
Voruͤberſchweben freudiger Koͤpfe war ihm der Gau¬
kelſprung der Irrlichter auf dem Kirchhofe.

Heute fuͤhlte er das bei einer zerſchmolzenen
uͤberlaufenden Seele noch eher als ſonſt. Die An¬
glaiſe, worin aus der Kolonne ein Paar nach dem
andern verſchwindet, war ja das Bild unſers ſchattig¬
ten Lebenu, in das wir alle ausziehen mit Trommeln

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[377/0387] »wir auch eins haben, daß wir hier bleiben und »die Aufloͤſung beobachten.« — Aber ſeine Faſſung uͤberlebte in jedem Balle kaum die Menuet. Nach dem erſten Geraͤuſch, we¬ nigſtens um die Geiſterſtunde war allemal ſeine ganze Seele in eine eigne poetiſche der Augen kaum maͤchtige Schwermuth zerſetzt. Auſſer den Toͤnen kann ich noch die Bewegung zum Erlaͤutern dieſer Erſcheinung brauchen: alle Bewegung iſt erſtlich er¬ haben — nemlich die von großen Maſſen oder viel¬ mehr jede ſchnelle Bewegung giebt dem Gegenſtand die Groͤße des durcheilten Raums, daher wegen des Kontraſtes mit dem Zwecke bewegte Gegenſtaͤnde ko¬ miſcher ſind als ruhige — Zweitens das Bewegen der Menſchen ſtellte ihm ihr Voruͤberflattern, ihr Fliehen in die Graͤber dar. Er ſtand oft zu Nachts melancholiſch unten an Haͤuſern, in deren zweiten Stockwerk man tanzte, und ſah hinauf und das Voruͤberſchweben freudiger Koͤpfe war ihm der Gau¬ kelſprung der Irrlichter auf dem Kirchhofe. Heute fuͤhlte er das bei einer zerſchmolzenen uͤberlaufenden Seele noch eher als ſonſt. Die An¬ glaiſe, worin aus der Kolonne ein Paar nach dem andern verſchwindet, war ja das Bild unſers ſchattig¬ ten Lebenu, in das wir alle ausziehen mit Trommeln

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/387>, abgerufen am 24.11.2024.