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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

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Aber die Harmonika füllte dieses Dunkel bald
wieder mit Lufterscheinungen von Welten an. Ach
warum mußt' es denn gerade die meinen Viktor na¬
gende Melodie des "Vergißmeinnicht" treffen, die
ihm die Verse vortönte als wenn er sie Klotilden
vorsagte: "Vergiß mein nicht, da jetzt des Schick¬
"sals Strenge dich von mir ruft -- Vergiß mein
"nicht, wenn lockre kühle Erde dies Herz einst deckt,
"das zärtlich für dich schlug -- Denk das ich's
"sey, wenn's sanft in deiner Seele spricht: vergiß
"mein nicht". . . . O wenn noch dazu diese Töne
sich in wogende Blumen verschlingen, aus einer
Vergangenheit in die andre zurück fließen, immer
leiser rinnen durch die vergangnen hinter dem Men¬
schen ruhende Jahre -- endlich nur murmeln unter
dem Lebensmorgenroth -- nur ungehört aufwallen
unter der Wiege des Menschen -- und erstarren in
unsrer kalten Dämmerung und versiegen in der Mit¬
ternacht, wo jeder von uns nicht war: dann hört
der gerührte Mensch auf, seine Seufzer zu verbergen
und seine unendlichen Schmerzen.

Der stille Engel neben Viktor konnte sie nicht
mehr verhüllen und Viktor hörte Klotildens ersten
Seufzer. --

Ja, dann nahm er ihre Hand als wenn er sie
schwebend erhalten wollte über einem ofnen Grabe.

Aber die Harmonika fuͤllte dieſes Dunkel bald
wieder mit Lufterſcheinungen von Welten an. Ach
warum mußt' es denn gerade die meinen Viktor na¬
gende Melodie des »Vergißmeinnicht« treffen, die
ihm die Verſe vortoͤnte als wenn er ſie Klotilden
vorſagte: »Vergiß mein nicht, da jetzt des Schick¬
»ſals Strenge dich von mir ruft — Vergiß mein
»nicht, wenn lockre kuͤhle Erde dies Herz einſt deckt,
»das zaͤrtlich fuͤr dich ſchlug — Denk das ich's
»ſey, wenn's ſanft in deiner Seele ſpricht: vergiß
»mein nicht«. . . . O wenn noch dazu dieſe Toͤne
ſich in wogende Blumen verſchlingen, aus einer
Vergangenheit in die andre zuruͤck fließen, immer
leiſer rinnen durch die vergangnen hinter dem Men¬
ſchen ruhende Jahre — endlich nur murmeln unter
dem Lebensmorgenroth — nur ungehoͤrt aufwallen
unter der Wiege des Menſchen — und erſtarren in
unſrer kalten Daͤmmerung und verſiegen in der Mit¬
ternacht, wo jeder von uns nicht war: dann hoͤrt
der geruͤhrte Menſch auf, ſeine Seufzer zu verbergen
und ſeine unendlichen Schmerzen.

Der ſtille Engel neben Viktor konnte ſie nicht
mehr verhuͤllen und Viktor hoͤrte Klotildens erſten
Seufzer. —

Ja, dann nahm er ihre Hand als wenn er ſie
ſchwebend erhalten wollte uͤber einem ofnen Grabe.

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[372/0382] Aber die Harmonika fuͤllte dieſes Dunkel bald wieder mit Lufterſcheinungen von Welten an. Ach warum mußt' es denn gerade die meinen Viktor na¬ gende Melodie des »Vergißmeinnicht« treffen, die ihm die Verſe vortoͤnte als wenn er ſie Klotilden vorſagte: »Vergiß mein nicht, da jetzt des Schick¬ »ſals Strenge dich von mir ruft — Vergiß mein »nicht, wenn lockre kuͤhle Erde dies Herz einſt deckt, »das zaͤrtlich fuͤr dich ſchlug — Denk das ich's »ſey, wenn's ſanft in deiner Seele ſpricht: vergiß »mein nicht«. . . . O wenn noch dazu dieſe Toͤne ſich in wogende Blumen verſchlingen, aus einer Vergangenheit in die andre zuruͤck fließen, immer leiſer rinnen durch die vergangnen hinter dem Men¬ ſchen ruhende Jahre — endlich nur murmeln unter dem Lebensmorgenroth — nur ungehoͤrt aufwallen unter der Wiege des Menſchen — und erſtarren in unſrer kalten Daͤmmerung und verſiegen in der Mit¬ ternacht, wo jeder von uns nicht war: dann hoͤrt der geruͤhrte Menſch auf, ſeine Seufzer zu verbergen und ſeine unendlichen Schmerzen. Der ſtille Engel neben Viktor konnte ſie nicht mehr verhuͤllen und Viktor hoͤrte Klotildens erſten Seufzer. — Ja, dann nahm er ihre Hand als wenn er ſie ſchwebend erhalten wollte uͤber einem ofnen Grabe.

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/382>, abgerufen am 24.11.2024.