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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

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sagte als ihren höchsten Tadel. Sie bat ihren Va¬
ter, der die Mundharmonika schon in Karlsbad ge¬
höret hatte, ihr und Viktor eine Idee davon zu
geben -- er gab sie: "sie drücke nicht sowohl das
"fortissimo als das piano-dolce meisterhaft aus
"und sey wie die einfache Harmonika dem Adagio
"am angemessensten." Sie antwortete darauf --
an Viktors Arm, der sie in ein dazu verfinstertes
stilles Zimmer führte -- "die Musik sey vielleicht
"zu gut für Trinklieder und für lustige Empfindun¬
"gen; da der Schmerz den Menschen veredle und
"ihn durch die kleinen Schnitte, die er ihm gebe,
"so regelmäßig entfallte, wie man die Knospen der
"Nelke, mit einem Messer aufritze, damit sie ohne
"Bersten aufblühen: so ersetzt die Musik als künst¬
"licher Schmerz den wahren." -- "Ist der wahre
so selten?" sagte Viktor gerührt im dunkeln von
Einem Wachslicht beschienenen Zimmer. -- Er kam
neben Klotilde, und ihr Vater saß ihm gegen¬
über. --

Seelige Stunde! die du einmal mit den Echo¬
lauten dieser Harmonika durch meine Seele zogest --
fliehe noch einmal vorüber und das Echo jenes Echo's
klinge wieder um dich! --

Aber als der bescheidne stille Virtuos das Gerä¬
the der Entzückung kaum in die Lippen geleget hat¬
te: so fühlte Viktor, daß er es jetzt, bevor das

ſagte als ihren hoͤchſten Tadel. Sie bat ihren Va¬
ter, der die Mundharmonika ſchon in Karlsbad ge¬
hoͤret hatte, ihr und Viktor eine Idee davon zu
geben — er gab ſie: »ſie druͤcke nicht ſowohl das
»fortissimo als das piano-dolce meiſterhaft aus
»und ſey wie die einfache Harmonika dem Adagio
»am angemeſſenſten.» Sie antwortete darauf —
an Viktors Arm, der ſie in ein dazu verfinſtertes
ſtilles Zimmer fuͤhrte — »die Muſik ſey vielleicht
»zu gut fuͤr Trinklieder und fuͤr luſtige Empfindun¬
»gen; da der Schmerz den Menſchen veredle und
»ihn durch die kleinen Schnitte, die er ihm gebe,
»ſo regelmaͤßig entfallte, wie man die Knoſpen der
»Nelke, mit einem Meſſer aufritze, damit ſie ohne
»Berſten aufbluͤhen: ſo erſetzt die Muſik als kuͤnſt¬
»licher Schmerz den wahren.» — »Iſt der wahre
ſo ſelten?» ſagte Viktor geruͤhrt im dunkeln von
Einem Wachslicht beſchienenen Zimmer. — Er kam
neben Klotilde, und ihr Vater ſaß ihm gegen¬
uͤber. —

Seelige Stunde! die du einmal mit den Echo¬
lauten dieſer Harmonika durch meine Seele zogeſt —
fliehe noch einmal voruͤber und das Echo jenes Echo's
klinge wieder um dich! —

Aber als der beſcheidne ſtille Virtuos das Geraͤ¬
the der Entzuͤckung kaum in die Lippen geleget hat¬
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[366/0376] ſagte als ihren hoͤchſten Tadel. Sie bat ihren Va¬ ter, der die Mundharmonika ſchon in Karlsbad ge¬ hoͤret hatte, ihr und Viktor eine Idee davon zu geben — er gab ſie: »ſie druͤcke nicht ſowohl das »fortissimo als das piano-dolce meiſterhaft aus »und ſey wie die einfache Harmonika dem Adagio »am angemeſſenſten.» Sie antwortete darauf — an Viktors Arm, der ſie in ein dazu verfinſtertes ſtilles Zimmer fuͤhrte — »die Muſik ſey vielleicht »zu gut fuͤr Trinklieder und fuͤr luſtige Empfindun¬ »gen; da der Schmerz den Menſchen veredle und »ihn durch die kleinen Schnitte, die er ihm gebe, »ſo regelmaͤßig entfallte, wie man die Knoſpen der »Nelke, mit einem Meſſer aufritze, damit ſie ohne »Berſten aufbluͤhen: ſo erſetzt die Muſik als kuͤnſt¬ »licher Schmerz den wahren.» — »Iſt der wahre ſo ſelten?» ſagte Viktor geruͤhrt im dunkeln von Einem Wachslicht beſchienenen Zimmer. — Er kam neben Klotilde, und ihr Vater ſaß ihm gegen¬ uͤber. — Seelige Stunde! die du einmal mit den Echo¬ lauten dieſer Harmonika durch meine Seele zogeſt — fliehe noch einmal voruͤber und das Echo jenes Echo's klinge wieder um dich! — Aber als der beſcheidne ſtille Virtuos das Geraͤ¬ the der Entzuͤckung kaum in die Lippen geleget hat¬ te: ſo fuͤhlte Viktor, daß er es jetzt, bevor das

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/376>, abgerufen am 24.11.2024.