du kannst nichts gewinnen, rief in Viktor jeder Seufzer! Aber doch gab es ihm Schmerzen, daß diese Edle, dieser Engel mit seinen Flügeln einen solchen Widersacher schlagen müsse. -- Nun wur¬ den ihm dreißig Dinge zugleich verdächtig, Joachi¬ mens Eröfnung und Kälte, Matthieu's Lächeln und -- alles.
So weit dieses Kapitel, dem ich nur noch einige reife Gedanken anhänge. Man sieht doch offenbar, daß der arme Viktor seine Seele für jede weibliche, wie jener Tyran die Bettgenossen für das Bette, kleiner verstümmele. Freilich ist Achtung die Mut¬ ter der Liebe; aber die Tochter wird oft einige Jahre älter als die Mutter. Er nimmt eine Hof¬ nung des weiblichen Werths nach der andern zurück. Am spätesten gab er zwar seine Foderung oder Er¬ wartung jenes erhabnen indischen Gefühls für die Ewigkeit auf, das uns, in diesem magischen Rauche von Leben hängenden, Schattenfiguren einen unaus¬ löschlichen Lichtpunkt zum Ich ertheilt und das uns über mehr als eine Erde hebt; aber da er sah, daß die Weiber unter allen Aehnlichkeiten mit Klotilden diese zuletzt erhalten; und da er bedachte, daß das Weltleben alles Große am Menschen wegschleife, wie das Wetter an Statuen und Leichensteinen ge¬ rade die erhabnen Theile wegnagt: so fehlte ihm nichts, um Joachimen die schon lange mundirte
du kannſt nichts gewinnen, rief in Viktor jeder Seufzer! Aber doch gab es ihm Schmerzen, daß dieſe Edle, dieſer Engel mit ſeinen Fluͤgeln einen ſolchen Widerſacher ſchlagen muͤſſe. — Nun wur¬ den ihm dreißig Dinge zugleich verdaͤchtig, Joachi¬ mens Eroͤfnung und Kaͤlte, Matthieu's Laͤcheln und — alles.
So weit dieſes Kapitel, dem ich nur noch einige reife Gedanken anhaͤnge. Man ſieht doch offenbar, daß der arme Viktor ſeine Seele fuͤr jede weibliche, wie jener Tyran die Bettgenoſſen fuͤr das Bette, kleiner verſtuͤmmele. Freilich iſt Achtung die Mut¬ ter der Liebe; aber die Tochter wird oft einige Jahre aͤlter als die Mutter. Er nimmt eine Hof¬ nung des weiblichen Werths nach der andern zuruͤck. Am ſpaͤteſten gab er zwar ſeine Foderung oder Er¬ wartung jenes erhabnen indiſchen Gefuͤhls fuͤr die Ewigkeit auf, das uns, in dieſem magiſchen Rauche von Leben haͤngenden, Schattenfiguren einen unaus¬ loͤſchlichen Lichtpunkt zum Ich ertheilt und das uns uͤber mehr als eine Erde hebt; aber da er ſah, daß die Weiber unter allen Aehnlichkeiten mit Klotilden dieſe zuletzt erhalten; und da er bedachte, daß das Weltleben alles Große am Menſchen wegſchleife, wie das Wetter an Statuen und Leichenſteinen ge¬ rade die erhabnen Theile wegnagt: ſo fehlte ihm nichts, um Joachimen die ſchon lange mundirte
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du kannſt nichts gewinnen, rief in Viktor jeder
Seufzer! Aber doch gab es ihm Schmerzen, daß
dieſe Edle, dieſer Engel mit ſeinen Fluͤgeln einen
ſolchen Widerſacher ſchlagen muͤſſe. — Nun wur¬
den ihm dreißig Dinge zugleich verdaͤchtig, Joachi¬
mens Eroͤfnung und Kaͤlte, Matthieu's Laͤcheln und
— alles.
So weit dieſes Kapitel, dem ich nur noch einige
reife Gedanken anhaͤnge. Man ſieht doch offenbar,
daß der arme Viktor ſeine Seele fuͤr jede weibliche,
wie jener Tyran die Bettgenoſſen fuͤr das Bette,
kleiner verſtuͤmmele. Freilich iſt Achtung die Mut¬
ter der Liebe; aber die Tochter wird oft einige
Jahre aͤlter als die Mutter. Er nimmt eine Hof¬
nung des weiblichen Werths nach der andern zuruͤck.
Am ſpaͤteſten gab er zwar ſeine Foderung oder Er¬
wartung jenes erhabnen indiſchen Gefuͤhls fuͤr die
Ewigkeit auf, das uns, in dieſem magiſchen Rauche
von Leben haͤngenden, Schattenfiguren einen unaus¬
loͤſchlichen Lichtpunkt zum Ich ertheilt und das uns
uͤber mehr als eine Erde hebt; aber da er ſah, daß
die Weiber unter allen Aehnlichkeiten mit Klotilden
dieſe zuletzt erhalten; und da er bedachte, daß das
Weltleben alles Große am Menſchen wegſchleife,
wie das Wetter an Statuen und Leichenſteinen ge¬
rade die erhabnen Theile wegnagt: ſo fehlte
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/242>, abgerufen am 16.02.2025.
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