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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

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und ahmte er die unähnlichsten Menschen nach trotz
seiner Aufrichtigkeit. Ich bedaur' ihn aber, daß er
überall so viel zu verschweigen hatte, sein Errathen des
Fürsten, sein Herz gegen Klotilde, seine Versöh¬
nungsintriguen gegen Agnola, seine Wissenschaft aus
Flamins Verhältnisse u. s. w. Ach Verschweigen
und Verstellen fließen leicht zusammen und müssen
nicht Tropfen in den festesten Karakter, sobald er
immer unter der Traufe steht, endlich Narben
graben?

Nichts erkältet mehr die edelsten Theile des in¬
nern Menschen als Umgang mit Personen, an denen
man keinen Antheil nehmen kann. Dieses Gast¬
wirthsleben am Hofe, täglich Leute zu sehen, die
nicht einmal Ich sagen, deren Verhältnisse man so
gleichgültig ignorirt wie deren Talente, wenn sie
nicht ein Bedürfniß sucht -- dieses Haschen nur
nach dem nächsten Augenblick -- dieses Vorüberren¬
nen der feinsten und geistreichsten Fremden und Vi¬
sitenameisen, die in drei Tagen vergessen sind --
alles dieses, was die Palläste zu russischen Eispallä¬
sten macht, wo sogar der Ofen voll Naphtapflam¬
men eine Eisscholle ist, wozu ich das komische
Salz gar nicht zu setzen brauche, das ohnehin alles
warme Blut, wie glauberisches das heisse Wasser
erkältet, alles dieses machte sein Herz öde, seine
Tage kahl und lästig, seine Nächte beklommen, sein

und ahmte er die unaͤhnlichſten Menſchen nach trotz
ſeiner Aufrichtigkeit. Ich bedaur' ihn aber, daß er
uͤberall ſo viel zu verſchweigen hatte, ſein Errathen des
Fuͤrſten, ſein Herz gegen Klotilde, ſeine Verſoͤh¬
nungsintriguen gegen Agnola, ſeine Wiſſenſchaft aus
Flamins Verhaͤltniſſe u. ſ. w. Ach Verſchweigen
und Verſtellen fließen leicht zuſammen und muͤſſen
nicht Tropfen in den feſteſten Karakter, ſobald er
immer unter der Traufe ſteht, endlich Narben
graben?

Nichts erkaͤltet mehr die edelſten Theile des in¬
nern Menſchen als Umgang mit Perſonen, an denen
man keinen Antheil nehmen kann. Dieſes Gaſt¬
wirthsleben am Hofe, taͤglich Leute zu ſehen, die
nicht einmal Ich ſagen, deren Verhaͤltniſſe man ſo
gleichguͤltig ignorirt wie deren Talente, wenn ſie
nicht ein Beduͤrfniß ſucht — dieſes Haſchen nur
nach dem naͤchſten Augenblick — dieſes Voruͤberren¬
nen der feinſten und geiſtreichſten Fremden und Vi¬
ſitenameiſen, die in drei Tagen vergeſſen ſind —
alles dieſes, was die Pallaͤſte zu ruſſiſchen Eispallaͤ¬
ſten macht, wo ſogar der Ofen voll Naphtapflam¬
men eine Eisſcholle iſt, wozu ich das komiſche
Salz gar nicht zu ſetzen brauche, das ohnehin alles
warme Blut, wie glauberiſches das heiſſe Waſſer
erkaͤltet, alles dieſes machte ſein Herz oͤde, ſeine
Tage kahl und laͤſtig, ſeine Naͤchte beklommen, ſein

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[203/0213] und ahmte er die unaͤhnlichſten Menſchen nach trotz ſeiner Aufrichtigkeit. Ich bedaur' ihn aber, daß er uͤberall ſo viel zu verſchweigen hatte, ſein Errathen des Fuͤrſten, ſein Herz gegen Klotilde, ſeine Verſoͤh¬ nungsintriguen gegen Agnola, ſeine Wiſſenſchaft aus Flamins Verhaͤltniſſe u. ſ. w. Ach Verſchweigen und Verſtellen fließen leicht zuſammen und muͤſſen nicht Tropfen in den feſteſten Karakter, ſobald er immer unter der Traufe ſteht, endlich Narben graben? Nichts erkaͤltet mehr die edelſten Theile des in¬ nern Menſchen als Umgang mit Perſonen, an denen man keinen Antheil nehmen kann. Dieſes Gaſt¬ wirthsleben am Hofe, taͤglich Leute zu ſehen, die nicht einmal Ich ſagen, deren Verhaͤltniſſe man ſo gleichguͤltig ignorirt wie deren Talente, wenn ſie nicht ein Beduͤrfniß ſucht — dieſes Haſchen nur nach dem naͤchſten Augenblick — dieſes Voruͤberren¬ nen der feinſten und geiſtreichſten Fremden und Vi¬ ſitenameiſen, die in drei Tagen vergeſſen ſind — alles dieſes, was die Pallaͤſte zu ruſſiſchen Eispallaͤ¬ ſten macht, wo ſogar der Ofen voll Naphtapflam¬ men eine Eisſcholle iſt, wozu ich das komiſche Salz gar nicht zu ſetzen brauche, das ohnehin alles warme Blut, wie glauberiſches das heiſſe Waſſer erkaͤltet, alles dieſes machte ſein Herz oͤde, ſeine Tage kahl und laͤſtig, ſeine Naͤchte beklommen, ſein

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/213>, abgerufen am 08.05.2024.