und ahmte er die unähnlichsten Menschen nach trotz seiner Aufrichtigkeit. Ich bedaur' ihn aber, daß er überall so viel zu verschweigen hatte, sein Errathen des Fürsten, sein Herz gegen Klotilde, seine Versöh¬ nungsintriguen gegen Agnola, seine Wissenschaft aus Flamins Verhältnisse u. s. w. Ach Verschweigen und Verstellen fließen leicht zusammen und müssen nicht Tropfen in den festesten Karakter, sobald er immer unter der Traufe steht, endlich Narben graben?
Nichts erkältet mehr die edelsten Theile des in¬ nern Menschen als Umgang mit Personen, an denen man keinen Antheil nehmen kann. Dieses Gast¬ wirthsleben am Hofe, täglich Leute zu sehen, die nicht einmal Ich sagen, deren Verhältnisse man so gleichgültig ignorirt wie deren Talente, wenn sie nicht ein Bedürfniß sucht -- dieses Haschen nur nach dem nächsten Augenblick -- dieses Vorüberren¬ nen der feinsten und geistreichsten Fremden und Vi¬ sitenameisen, die in drei Tagen vergessen sind -- alles dieses, was die Palläste zu russischen Eispallä¬ sten macht, wo sogar der Ofen voll Naphtapflam¬ men eine Eisscholle ist, wozu ich das komische Salz gar nicht zu setzen brauche, das ohnehin alles warme Blut, wie glauberisches das heisse Wasser erkältet, alles dieses machte sein Herz öde, seine Tage kahl und lästig, seine Nächte beklommen, sein
und ahmte er die unaͤhnlichſten Menſchen nach trotz ſeiner Aufrichtigkeit. Ich bedaur' ihn aber, daß er uͤberall ſo viel zu verſchweigen hatte, ſein Errathen des Fuͤrſten, ſein Herz gegen Klotilde, ſeine Verſoͤh¬ nungsintriguen gegen Agnola, ſeine Wiſſenſchaft aus Flamins Verhaͤltniſſe u. ſ. w. Ach Verſchweigen und Verſtellen fließen leicht zuſammen und muͤſſen nicht Tropfen in den feſteſten Karakter, ſobald er immer unter der Traufe ſteht, endlich Narben graben?
Nichts erkaͤltet mehr die edelſten Theile des in¬ nern Menſchen als Umgang mit Perſonen, an denen man keinen Antheil nehmen kann. Dieſes Gaſt¬ wirthsleben am Hofe, taͤglich Leute zu ſehen, die nicht einmal Ich ſagen, deren Verhaͤltniſſe man ſo gleichguͤltig ignorirt wie deren Talente, wenn ſie nicht ein Beduͤrfniß ſucht — dieſes Haſchen nur nach dem naͤchſten Augenblick — dieſes Voruͤberren¬ nen der feinſten und geiſtreichſten Fremden und Vi¬ ſitenameiſen, die in drei Tagen vergeſſen ſind — alles dieſes, was die Pallaͤſte zu ruſſiſchen Eispallaͤ¬ ſten macht, wo ſogar der Ofen voll Naphtapflam¬ men eine Eisſcholle iſt, wozu ich das komiſche Salz gar nicht zu ſetzen brauche, das ohnehin alles warme Blut, wie glauberiſches das heiſſe Waſſer erkaͤltet, alles dieſes machte ſein Herz oͤde, ſeine Tage kahl und laͤſtig, ſeine Naͤchte beklommen, ſein
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0213"n="203"/>
und ahmte er die unaͤhnlichſten Menſchen nach trotz<lb/>ſeiner Aufrichtigkeit. Ich bedaur' ihn aber, daß er<lb/>
uͤberall ſo viel zu verſchweigen hatte, ſein Errathen des<lb/>
Fuͤrſten, ſein Herz gegen Klotilde, ſeine Verſoͤh¬<lb/>
nungsintriguen gegen Agnola, ſeine Wiſſenſchaft aus<lb/>
Flamins Verhaͤltniſſe u. ſ. w. Ach Verſchweigen<lb/>
und Verſtellen fließen leicht zuſammen und muͤſſen<lb/>
nicht Tropfen in den feſteſten Karakter, ſobald er<lb/>
immer unter der Traufe ſteht, endlich Narben<lb/>
graben?</p><lb/><p>Nichts erkaͤltet mehr die edelſten Theile des in¬<lb/>
nern Menſchen als Umgang mit Perſonen, an denen<lb/>
man keinen Antheil nehmen kann. Dieſes Gaſt¬<lb/>
wirthsleben am Hofe, taͤglich Leute zu ſehen, die<lb/>
nicht einmal Ich ſagen, deren Verhaͤltniſſe man ſo<lb/>
gleichguͤltig ignorirt wie deren Talente, wenn ſie<lb/>
nicht ein Beduͤrfniß ſucht — dieſes Haſchen nur<lb/>
nach dem naͤchſten Augenblick — dieſes Voruͤberren¬<lb/>
nen der feinſten und geiſtreichſten Fremden und Vi¬<lb/>ſitenameiſen, die in drei Tagen vergeſſen ſind —<lb/>
alles dieſes, was die Pallaͤſte zu ruſſiſchen Eispallaͤ¬<lb/>ſten macht, wo ſogar der <hirendition="#g">Ofen</hi> voll Naphtapflam¬<lb/>
men eine Eisſcholle iſt, wozu ich das <hirendition="#g">komiſche</hi><lb/>
Salz gar nicht zu ſetzen brauche, das ohnehin alles<lb/>
warme Blut, wie <hirendition="#g">glauberiſches</hi> das heiſſe Waſſer<lb/>
erkaͤltet, alles dieſes machte ſein Herz oͤde, ſeine<lb/>
Tage kahl und laͤſtig, ſeine Naͤchte beklommen, ſein<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[203/0213]
und ahmte er die unaͤhnlichſten Menſchen nach trotz
ſeiner Aufrichtigkeit. Ich bedaur' ihn aber, daß er
uͤberall ſo viel zu verſchweigen hatte, ſein Errathen des
Fuͤrſten, ſein Herz gegen Klotilde, ſeine Verſoͤh¬
nungsintriguen gegen Agnola, ſeine Wiſſenſchaft aus
Flamins Verhaͤltniſſe u. ſ. w. Ach Verſchweigen
und Verſtellen fließen leicht zuſammen und muͤſſen
nicht Tropfen in den feſteſten Karakter, ſobald er
immer unter der Traufe ſteht, endlich Narben
graben?
Nichts erkaͤltet mehr die edelſten Theile des in¬
nern Menſchen als Umgang mit Perſonen, an denen
man keinen Antheil nehmen kann. Dieſes Gaſt¬
wirthsleben am Hofe, taͤglich Leute zu ſehen, die
nicht einmal Ich ſagen, deren Verhaͤltniſſe man ſo
gleichguͤltig ignorirt wie deren Talente, wenn ſie
nicht ein Beduͤrfniß ſucht — dieſes Haſchen nur
nach dem naͤchſten Augenblick — dieſes Voruͤberren¬
nen der feinſten und geiſtreichſten Fremden und Vi¬
ſitenameiſen, die in drei Tagen vergeſſen ſind —
alles dieſes, was die Pallaͤſte zu ruſſiſchen Eispallaͤ¬
ſten macht, wo ſogar der Ofen voll Naphtapflam¬
men eine Eisſcholle iſt, wozu ich das komiſche
Salz gar nicht zu ſetzen brauche, das ohnehin alles
warme Blut, wie glauberiſches das heiſſe Waſſer
erkaͤltet, alles dieſes machte ſein Herz oͤde, ſeine
Tage kahl und laͤſtig, ſeine Naͤchte beklommen, ſein
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/213>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.