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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

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-- und sagte, indem er sanft ihre Augenbraunen
wagrecht strich, mit seiner aus dem gerührtesten
Herzen steigenden Stimme: "Du arme Marie, sag'
"mir was -- du hast wohl auch wenig Freude --
"in deine guten Augen kommt wohl wenig mehr,
"was sie gerne sehen wenn's nicht deine Thränen
"sind -- Du Liebe, warum hast du keinen Muth zu
"mir, warum sagst du deinen Gram nicht mir? du
"gutes gemartertes Herz -- ich will für dich spre¬
"chen für dich handeln -- sag mir was dich drückt
"und wenn es dir einmal an einem Abend zu schwer
"wird und du drunten nicht weinen darfst: so komm
"herauf zu mir .. schau mich jetzt frei an .. war¬
"lich ich vergiesse Thränen mit dir und ich will
"mich Henker um alles scheeren." -- Ob sie es
gleich für unhöflich hielt, vor einem so vornehmen
Herrn zu weinen: so war ihrs doch unmöglich, durch
die gewaltsame Abbeugung des Gesichts alle Thrä¬
nen, die seine Zunge voll Liebe in Bächen aus ihr
preste, zu entfernen. . . . . Verübelt es seiner über¬
wallenden Seele nicht, daß er dann seinen heissen
Mund an ihre kalten verachteten nnd ohne Wider¬
stand bebende Lippen drückte und zu ihr sagte: o!
warum sind wir armen Menschen so unglücklich. wenn
wir zu weich sind? -- In seinem Zimmer schien sie
alles für Spott zu nehmen -- aber die ganze Nacht
durch hörte sie das Echo des ersten menschenfreund¬

— und ſagte, indem er ſanft ihre Augenbraunen
wagrecht ſtrich, mit ſeiner aus dem geruͤhrteſten
Herzen ſteigenden Stimme: »Du arme Marie, ſag'
»mir was — du haſt wohl auch wenig Freude —
»in deine guten Augen kommt wohl wenig mehr,
»was ſie gerne ſehen wenn's nicht deine Thraͤnen
»ſind — Du Liebe, warum haſt du keinen Muth zu
»mir, warum ſagſt du deinen Gram nicht mir? du
»gutes gemartertes Herz — ich will fuͤr dich ſpre¬
»chen fuͤr dich handeln — ſag mir was dich druͤckt
»und wenn es dir einmal an einem Abend zu ſchwer
»wird und du drunten nicht weinen darfſt: ſo komm
»herauf zu mir .. ſchau mich jetzt frei an .. war¬
»lich ich vergieſſe Thraͤnen mit dir und ich will
»mich Henker um alles ſcheeren.« — Ob ſie es
gleich fuͤr unhoͤflich hielt, vor einem ſo vornehmen
Herrn zu weinen: ſo war ihrs doch unmoͤglich, durch
die gewaltſame Abbeugung des Geſichts alle Thraͤ¬
nen, die ſeine Zunge voll Liebe in Baͤchen aus ihr
preſte, zu entfernen. . . . . Veruͤbelt es ſeiner uͤber¬
wallenden Seele nicht, daß er dann ſeinen heiſſen
Mund an ihre kalten verachteten nnd ohne Wider¬
ſtand bebende Lippen druͤckte und zu ihr ſagte: o!
warum ſind wir armen Menſchen ſo ungluͤcklich. wenn
wir zu weich ſind? — In ſeinem Zimmer ſchien ſie
alles fuͤr Spott zu nehmen — aber die ganze Nacht
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[171/0181] — und ſagte, indem er ſanft ihre Augenbraunen wagrecht ſtrich, mit ſeiner aus dem geruͤhrteſten Herzen ſteigenden Stimme: »Du arme Marie, ſag' »mir was — du haſt wohl auch wenig Freude — »in deine guten Augen kommt wohl wenig mehr, »was ſie gerne ſehen wenn's nicht deine Thraͤnen »ſind — Du Liebe, warum haſt du keinen Muth zu »mir, warum ſagſt du deinen Gram nicht mir? du »gutes gemartertes Herz — ich will fuͤr dich ſpre¬ »chen fuͤr dich handeln — ſag mir was dich druͤckt »und wenn es dir einmal an einem Abend zu ſchwer »wird und du drunten nicht weinen darfſt: ſo komm »herauf zu mir .. ſchau mich jetzt frei an .. war¬ »lich ich vergieſſe Thraͤnen mit dir und ich will »mich Henker um alles ſcheeren.« — Ob ſie es gleich fuͤr unhoͤflich hielt, vor einem ſo vornehmen Herrn zu weinen: ſo war ihrs doch unmoͤglich, durch die gewaltſame Abbeugung des Geſichts alle Thraͤ¬ nen, die ſeine Zunge voll Liebe in Baͤchen aus ihr preſte, zu entfernen. . . . . Veruͤbelt es ſeiner uͤber¬ wallenden Seele nicht, daß er dann ſeinen heiſſen Mund an ihre kalten verachteten nnd ohne Wider¬ ſtand bebende Lippen druͤckte und zu ihr ſagte: o! warum ſind wir armen Menſchen ſo ungluͤcklich. wenn wir zu weich ſind? — In ſeinem Zimmer ſchien ſie alles fuͤr Spott zu nehmen — aber die ganze Nacht durch hoͤrte ſie das Echo des erſten menſchenfreund¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/181>, abgerufen am 06.05.2024.