beitsstunden fielen. Diese Entfernung und das ewige Kantoniren bei Schleunes -- das Flamin, aus Un¬ bekanntschaft mit Joachimens Einfluß, auf alle Fälle Klotildens ihrem zurechnen mußte, zu deren künfti¬ gen Besuchen sich Viktor durch seine jetzigen den Vorwand verschaffe -- zog die verschlungnen Freund¬ schaftshände von beiden, deren Leben sonst eine Sonate a quatre mains gewesen, immer weiter auseinander; die Fehler und den moralischen Staub, den sonst Viktor von seinem Liebling wegwischen konnte, durfte er kaum wegzublasen wagen; sie betrugen sich zärter und aufmerksamer gegen einander. Aber mein Vik¬ tor, an dessen Herz das Schicksal so viele saugende Vampyre legte und der in eine Brust den Schmerz der entbehrten Liebe und den Kummer der fallenden Freundschaft einzuschließen hatte, wurde durch alles -- recht lustig. O es giebt eine gewisse Lustigkeit der Verstockung und des Grams, die die erschöpfte Seele bezeichnet, ein Lächeln wie das an denen Men¬ schen die an Wunden des Zwergfells sterben, oder das an eingedorrten zurückgespannten Mumien-Lip¬ pen! Viktor warf sich in den Strom der Lustbarkei¬ ten, um unter demselben seine eigne Seufzer nicht zu hören. Aber freilich oft wenn er den ganzen Tag über demolirte Narrheiten komisches Salz ausgesäet hatte, das eben so oft die Hand des Säemanns wund beisset, und er den ganzen Tag sich an keinem
beitsſtunden fielen. Dieſe Entfernung und das ewige Kantoniren bei Schleunes — das Flamin, aus Un¬ bekanntſchaft mit Joachimens Einfluß, auf alle Faͤlle Klotildens ihrem zurechnen mußte, zu deren kuͤnfti¬ gen Beſuchen ſich Viktor durch ſeine jetzigen den Vorwand verſchaffe — zog die verſchlungnen Freund¬ ſchaftshaͤnde von beiden, deren Leben ſonſt eine Sonate à quatre mains geweſen, immer weiter auseinander; die Fehler und den moraliſchen Staub, den ſonſt Viktor von ſeinem Liebling wegwiſchen konnte, durfte er kaum wegzublaſen wagen; ſie betrugen ſich zaͤrter und aufmerkſamer gegen einander. Aber mein Vik¬ tor, an deſſen Herz das Schickſal ſo viele ſaugende Vampyre legte und der in eine Bruſt den Schmerz der entbehrten Liebe und den Kummer der fallenden Freundſchaft einzuſchließen hatte, wurde durch alles — recht luſtig. O es giebt eine gewiſſe Luſtigkeit der Verſtockung und des Grams, die die erſchoͤpfte Seele bezeichnet, ein Laͤcheln wie das an denen Men¬ ſchen die an Wunden des Zwergfells ſterben, oder das an eingedorrten zuruͤckgeſpannten Mumien-Lip¬ pen! Viktor warf ſich in den Strom der Luſtbarkei¬ ten, um unter demſelben ſeine eigne Seufzer nicht zu hoͤren. Aber freilich oft wenn er den ganzen Tag uͤber demolirte Narrheiten komiſches Salz ausgeſaͤet hatte, das eben ſo oft die Hand des Saͤemanns wund beiſſet, und er den ganzen Tag ſich an keinem
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beitsſtunden fielen. Dieſe Entfernung und das ewige
Kantoniren bei Schleunes — das Flamin, aus Un¬
bekanntſchaft mit Joachimens Einfluß, auf alle Faͤlle
Klotildens ihrem zurechnen mußte, zu deren kuͤnfti¬
gen Beſuchen ſich Viktor durch ſeine jetzigen den
Vorwand verſchaffe — zog die verſchlungnen Freund¬
ſchaftshaͤnde von beiden, deren Leben ſonſt eine Sonate
à quatre mains geweſen, immer weiter auseinander;
die Fehler und den moraliſchen Staub, den ſonſt
Viktor von ſeinem Liebling wegwiſchen konnte, durfte
er kaum wegzublaſen wagen; ſie betrugen ſich zaͤrter
und aufmerkſamer gegen einander. Aber mein Vik¬
tor, an deſſen Herz das Schickſal ſo viele ſaugende
Vampyre legte und der in eine Bruſt den Schmerz
der entbehrten Liebe und den Kummer der fallenden
Freundſchaft einzuſchließen hatte, wurde durch alles
— recht luſtig. O es giebt eine gewiſſe Luſtigkeit
der Verſtockung und des Grams, die die erſchoͤpfte
Seele bezeichnet, ein Laͤcheln wie das an denen Men¬
ſchen die an Wunden des Zwergfells ſterben, oder
das an eingedorrten zuruͤckgeſpannten Mumien-Lip¬
pen! Viktor warf ſich in den Strom der Luſtbarkei¬
ten, um unter demſelben ſeine eigne Seufzer nicht
zu hoͤren. Aber freilich oft wenn er den ganzen Tag
uͤber demolirte Narrheiten komiſches Salz ausgeſaͤet
hatte, das eben ſo oft die Hand des Saͤemanns
wund beiſſet, und er den ganzen Tag ſich an keinem
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/179>, abgerufen am 01.02.2025.
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