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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

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ganographie, sie hören endlich die Stimmen über die
Hügel herüber -- aber sie berühren sich nie und jede
umschlingt nur ihren Gedanken. -- Und doch zer¬
stäubt diese arme Liebe wie ein alter Leichnam,
wenn sie gezeigt wird; und ihre Flamme zerflattert
wie eine Begräbnißlampe, wenn sie aufgeschlossen
wird."

Sind wir denn alle nicht glücklich? --

Bejah' es nicht! -- Ach der Mensch, der schon
von der Kindheit an nach einer unbekannten Seele
rief, die mit seiner eignen in Einem Herzen auf¬
wuchs -- die in alle Träume seiner Jahre kam und
darin von weitem schimmerte und nach dem Erwa¬
chen seine Thränen erregte -- die im Frühling ihm
Nachtigallen schickte, damit er an sie denke und nach
ihr sich sehne -- die in jeder weichen Stunde seine
Seele besuchte mit so viel Tugend, mit so viel Liebe,
daß er so gern all' sein Blut in seinem Herzen wie
in einer Opferschaale der Geliebten hingegeben hätte
-- die aber ach nirgends erschien, nur ihr Bild in
jeder schönen Gestalt zusandte, aber ihr Herz ewig
entrückte -- -- o endlich, o plötzlich, o seelig schlägt
ihr Herz an seinem Herzen und die zwei Seelen um¬
fassen sich auf immer -- -- er kann es nicht mehr
sagen, aber wir könnens: dieser ist doch glücklich und
geliebt. . . .

ganographie, ſie hoͤren endlich die Stimmen uͤber die
Huͤgel heruͤber — aber ſie beruͤhren ſich nie und jede
umſchlingt nur ihren Gedanken. — Und doch zer¬
ſtaͤubt dieſe arme Liebe wie ein alter Leichnam,
wenn ſie gezeigt wird; und ihre Flamme zerflattert
wie eine Begraͤbnißlampe, wenn ſie aufgeſchloſſen
wird.«

Sind wir denn alle nicht gluͤcklich? —

Bejah' es nicht! — Ach der Menſch, der ſchon
von der Kindheit an nach einer unbekannten Seele
rief, die mit ſeiner eignen in Einem Herzen auf¬
wuchs — die in alle Traͤume ſeiner Jahre kam und
darin von weitem ſchimmerte und nach dem Erwa¬
chen ſeine Thraͤnen erregte — die im Fruͤhling ihm
Nachtigallen ſchickte, damit er an ſie denke und nach
ihr ſich ſehne — die in jeder weichen Stunde ſeine
Seele beſuchte mit ſo viel Tugend, mit ſo viel Liebe,
daß er ſo gern all' ſein Blut in ſeinem Herzen wie
in einer Opferſchaale der Geliebten hingegeben haͤtte
— die aber ach nirgends erſchien, nur ihr Bild in
jeder ſchoͤnen Geſtalt zuſandte, aber ihr Herz ewig
entruͤckte — — o endlich, o ploͤtzlich, o ſeelig ſchlaͤgt
ihr Herz an ſeinem Herzen und die zwei Seelen um¬
faſſen ſich auf immer — — er kann es nicht mehr
ſagen, aber wir koͤnnens: dieſer iſt doch gluͤcklich und
geliebt. . . .

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[102/0112] ganographie, ſie hoͤren endlich die Stimmen uͤber die Huͤgel heruͤber — aber ſie beruͤhren ſich nie und jede umſchlingt nur ihren Gedanken. — Und doch zer¬ ſtaͤubt dieſe arme Liebe wie ein alter Leichnam, wenn ſie gezeigt wird; und ihre Flamme zerflattert wie eine Begraͤbnißlampe, wenn ſie aufgeſchloſſen wird.« Sind wir denn alle nicht gluͤcklich? — Bejah' es nicht! — Ach der Menſch, der ſchon von der Kindheit an nach einer unbekannten Seele rief, die mit ſeiner eignen in Einem Herzen auf¬ wuchs — die in alle Traͤume ſeiner Jahre kam und darin von weitem ſchimmerte und nach dem Erwa¬ chen ſeine Thraͤnen erregte — die im Fruͤhling ihm Nachtigallen ſchickte, damit er an ſie denke und nach ihr ſich ſehne — die in jeder weichen Stunde ſeine Seele beſuchte mit ſo viel Tugend, mit ſo viel Liebe, daß er ſo gern all' ſein Blut in ſeinem Herzen wie in einer Opferſchaale der Geliebten hingegeben haͤtte — die aber ach nirgends erſchien, nur ihr Bild in jeder ſchoͤnen Geſtalt zuſandte, aber ihr Herz ewig entruͤckte — — o endlich, o ploͤtzlich, o ſeelig ſchlaͤgt ihr Herz an ſeinem Herzen und die zwei Seelen um¬ faſſen ſich auf immer — — er kann es nicht mehr ſagen, aber wir koͤnnens: dieſer iſt doch gluͤcklich und geliebt. . . .

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/112>, abgerufen am 23.11.2024.