"liebt -- -- Nein! und wenn ich zu Grunde ginge "und wenn ich mich nachher nicht mehr trösten "könnte: so drückte ich mich mit dem unbedeckten "Herzen und mit dem Bluten aller Wunden und "zerrinnend und erliegend an den geliebten Men¬ "schen, der mich verlassen müßte und sagte doch: es "thut mir woh!" -- Kalte egoistische und bequeme Personen vermeiden das Abschiednehmen so wie un¬ poetische von zu heftigen Empfindungen; weibliche hingegen, die sich alle Schmerzen durch Sprechen, und poetische, die sich alle durch Phantasiren mil¬ dern, suchen es.
Um sechs Uhr Abends -- denn es war nur ein Sprung nach Flachsenfingen -- als das Vieh wie¬ derkam, ging er fort: eskortirt von der ganzen Fa¬ milie. An seinen glücklichern Arm -- meiner muß sich bloß zum Besten der Wissenschaften bewegen -- war die Brittin und an den linken Agathe angeöhrt; an die Schwester hatte sich der arme Hauspudel ge¬ schnallet (Appollonia,) welcher gleichwohl dachte, er berühre und genieße trotz dem schwesterlichen Ein¬ schiebsel und Zwischengeist den Doktor. So fahren die Funken der Liebe, wie die elektrische und magne¬ tische Materie, durch das Medium von zwanzig da¬ zwischen gestellten Leibern hindurch. Ein Philosoph, der sich hinsetzt und erwägt, daß unsre Finger im Grunde der geliebten Seele nicht um einen Daumen
»liebt — — Nein! und wenn ich zu Grunde ginge »und wenn ich mich nachher nicht mehr troͤſten »koͤnnte: ſo druͤckte ich mich mit dem unbedeckten »Herzen und mit dem Bluten aller Wunden und »zerrinnend und erliegend an den geliebten Men¬ »ſchen, der mich verlaſſen muͤßte und ſagte doch: es »thut mir woh!« — Kalte egoiſtiſche und bequeme Perſonen vermeiden das Abſchiednehmen ſo wie un¬ poetiſche von zu heftigen Empfindungen; weibliche hingegen, die ſich alle Schmerzen durch Sprechen, und poetiſche, die ſich alle durch Phantaſiren mil¬ dern, ſuchen es.
Um ſechs Uhr Abends — denn es war nur ein Sprung nach Flachſenfingen — als das Vieh wie¬ derkam, ging er fort: eskortirt von der ganzen Fa¬ milie. An ſeinen gluͤcklichern Arm — meiner muß ſich bloß zum Beſten der Wiſſenſchaften bewegen — war die Brittin und an den linken Agathe angeoͤhrt; an die Schweſter hatte ſich der arme Hauspudel ge¬ ſchnallet (Appollonia,) welcher gleichwohl dachte, er beruͤhre und genieße trotz dem ſchweſterlichen Ein¬ ſchiebſel und Zwiſchengeiſt den Doktor. So fahren die Funken der Liebe, wie die elektriſche und magne¬ tiſche Materie, durch das Medium von zwanzig da¬ zwiſchen geſtellten Leibern hindurch. Ein Philoſoph, der ſich hinſetzt und erwaͤgt, daß unſre Finger im Grunde der geliebten Seele nicht um einen Daumen
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0393"n="382"/>
»liebt —— Nein! und wenn ich zu Grunde ginge<lb/>
»und wenn ich mich nachher nicht mehr troͤſten<lb/>
»koͤnnte: ſo druͤckte ich mich mit dem unbedeckten<lb/>
»Herzen und mit dem Bluten aller Wunden und<lb/>
»zerrinnend und erliegend an den geliebten Men¬<lb/>
»ſchen, der mich verlaſſen muͤßte und ſagte doch: es<lb/>
»thut mir woh!« — Kalte egoiſtiſche und bequeme<lb/>
Perſonen vermeiden das Abſchiednehmen ſo wie un¬<lb/>
poetiſche von zu heftigen Empfindungen; weibliche<lb/>
hingegen, die ſich alle Schmerzen durch Sprechen,<lb/>
und poetiſche, die ſich alle durch Phantaſiren mil¬<lb/>
dern, ſuchen es.</p><lb/><p>Um ſechs Uhr Abends — denn es war nur ein<lb/>
Sprung nach Flachſenfingen — als das Vieh wie¬<lb/>
derkam, ging er fort: eskortirt von der ganzen Fa¬<lb/>
milie. An ſeinen gluͤcklichern Arm — meiner muß<lb/>ſich bloß zum Beſten der Wiſſenſchaften bewegen —<lb/>
war die Brittin und an den linken Agathe angeoͤhrt;<lb/>
an die Schweſter hatte ſich der arme Hauspudel ge¬<lb/>ſchnallet (Appollonia,) welcher gleichwohl dachte, er<lb/>
beruͤhre und genieße trotz dem ſchweſterlichen Ein¬<lb/>ſchiebſel und Zwiſchengeiſt den Doktor. So fahren<lb/>
die Funken der Liebe, wie die elektriſche und magne¬<lb/>
tiſche Materie, durch das Medium von zwanzig da¬<lb/>
zwiſchen geſtellten Leibern hindurch. Ein Philoſoph,<lb/>
der ſich hinſetzt und erwaͤgt, daß unſre Finger im<lb/>
Grunde der geliebten Seele nicht um einen Daumen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[382/0393]
»liebt — — Nein! und wenn ich zu Grunde ginge
»und wenn ich mich nachher nicht mehr troͤſten
»koͤnnte: ſo druͤckte ich mich mit dem unbedeckten
»Herzen und mit dem Bluten aller Wunden und
»zerrinnend und erliegend an den geliebten Men¬
»ſchen, der mich verlaſſen muͤßte und ſagte doch: es
»thut mir woh!« — Kalte egoiſtiſche und bequeme
Perſonen vermeiden das Abſchiednehmen ſo wie un¬
poetiſche von zu heftigen Empfindungen; weibliche
hingegen, die ſich alle Schmerzen durch Sprechen,
und poetiſche, die ſich alle durch Phantaſiren mil¬
dern, ſuchen es.
Um ſechs Uhr Abends — denn es war nur ein
Sprung nach Flachſenfingen — als das Vieh wie¬
derkam, ging er fort: eskortirt von der ganzen Fa¬
milie. An ſeinen gluͤcklichern Arm — meiner muß
ſich bloß zum Beſten der Wiſſenſchaften bewegen —
war die Brittin und an den linken Agathe angeoͤhrt;
an die Schweſter hatte ſich der arme Hauspudel ge¬
ſchnallet (Appollonia,) welcher gleichwohl dachte, er
beruͤhre und genieße trotz dem ſchweſterlichen Ein¬
ſchiebſel und Zwiſchengeiſt den Doktor. So fahren
die Funken der Liebe, wie die elektriſche und magne¬
tiſche Materie, durch das Medium von zwanzig da¬
zwiſchen geſtellten Leibern hindurch. Ein Philoſoph,
der ſich hinſetzt und erwaͤgt, daß unſre Finger im
Grunde der geliebten Seele nicht um einen Daumen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/393>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.