Abends macht' er seine Syllogismen, wie sie auf Universitäten gelehret werden -- dieser Vexirdistel impfte er alle Rosen seines Schicksals ein -- "zer¬ "streut war sie doch und weswegen? frag' ich, " sagt' er ins Kopfkissen hinein -- Denn errathen ha¬ "ben sie mich drüben ohnehin noch nicht-behauptete er, indem er sich aufs zweite Kopfkissen legte -- "o "du holdes Auge, das auf die Distel sank, geh' in "meinem Schlafe wieder auf und sey der Mond mei¬ "ner Träume" sagte er, da er schon halb in beiden war. -- Er glaubte bloß aus Bescheidenheit, er werde nicht errathen, weil er sich nicht für merk¬ würdig genug ansah, um bemerkt zu werden. --
Der 20. August 179 * * war der große Tag, wo er abmarschirte nach Flachsenfingen: Flamin war schon um vier Uhr Abends fortgetrabt, um keinen Abschied zu nehmen, welches er haßte. Aber mein Viktor nahm gern Abschied und zitterte gern im letzten Verstummen der Trennung: "o ihr armen "egoistischen Menschen! (sagt' er) dieses Polarleben "ist ohnehin so kahl und kalt, wir stehen ohnehin "Wochen und Jahre neben einander ohne mit dem "Herzen etwas besseres zu bewegen als unser Blut "-- bloß ein Paar glühende Augenblicke zischen und "erlöschen auf dem Eisfeld des Lebens -- warum "meidet ihr doch alles, was euch aus der Alltäg¬ "lichkeit zieht und was euch erinnert, wie man
Abends macht' er ſeine Syllogismen, wie ſie auf Univerſitaͤten gelehret werden — dieſer Vexirdiſtel impfte er alle Roſen ſeines Schickſals ein — »zer¬ »ſtreut war ſie doch und weswegen? frag' ich, « ſagt' er ins Kopfkiſſen hinein — Denn errathen ha¬ »ben ſie mich druͤben ohnehin noch nicht-behauptete er, indem er ſich aufs zweite Kopfkiſſen legte — »o »du holdes Auge, das auf die Diſtel ſank, geh' in »meinem Schlafe wieder auf und ſey der Mond mei¬ »ner Traͤume« ſagte er, da er ſchon halb in beiden war. — Er glaubte bloß aus Beſcheidenheit, er werde nicht errathen, weil er ſich nicht fuͤr merk¬ wuͤrdig genug anſah, um bemerkt zu werden. —
Der 20. Auguſt 179 * * war der große Tag, wo er abmarſchirte nach Flachſenfingen: Flamin war ſchon um vier Uhr Abends fortgetrabt, um keinen Abſchied zu nehmen, welches er haßte. Aber mein Viktor nahm gern Abſchied und zitterte gern im letzten Verſtummen der Trennung: »o ihr armen »egoiſtiſchen Menſchen! (ſagt' er) dieſes Polarleben »iſt ohnehin ſo kahl und kalt, wir ſtehen ohnehin «Wochen und Jahre neben einander ohne mit dem »Herzen etwas beſſeres zu bewegen als unſer Blut »— bloß ein Paar gluͤhende Augenblicke ziſchen und »erloͤſchen auf dem Eisfeld des Lebens — warum »meidet ihr doch alles, was euch aus der Alltaͤg¬ »lichkeit zieht und was euch erinnert, wie man
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Abends macht' er ſeine Syllogismen, wie ſie auf
Univerſitaͤten gelehret werden — dieſer Vexirdiſtel
impfte er alle Roſen ſeines Schickſals ein — »zer¬
»ſtreut war ſie doch und weswegen? frag' ich, «
ſagt' er ins Kopfkiſſen hinein — Denn errathen ha¬
»ben ſie mich druͤben ohnehin noch nicht-behauptete
er, indem er ſich aufs zweite Kopfkiſſen legte — »o
»du holdes Auge, das auf die Diſtel ſank, geh' in
»meinem Schlafe wieder auf und ſey der Mond mei¬
»ner Traͤume« ſagte er, da er ſchon halb in beiden
war. — Er glaubte bloß aus Beſcheidenheit, er
werde nicht errathen, weil er ſich nicht fuͤr merk¬
wuͤrdig genug anſah, um bemerkt zu werden. —
Der 20. Auguſt 179 * * war der große Tag, wo
er abmarſchirte nach Flachſenfingen: Flamin war
ſchon um vier Uhr Abends fortgetrabt, um keinen
Abſchied zu nehmen, welches er haßte. Aber mein
Viktor nahm gern Abſchied und zitterte gern im
letzten Verſtummen der Trennung: »o ihr armen
»egoiſtiſchen Menſchen! (ſagt' er) dieſes Polarleben
»iſt ohnehin ſo kahl und kalt, wir ſtehen ohnehin
«Wochen und Jahre neben einander ohne mit dem
»Herzen etwas beſſeres zu bewegen als unſer Blut
»— bloß ein Paar gluͤhende Augenblicke ziſchen und
»erloͤſchen auf dem Eisfeld des Lebens — warum
»meidet ihr doch alles, was euch aus der Alltaͤg¬
»lichkeit zieht und was euch erinnert, wie man
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/392>, abgerufen am 22.11.2024.
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