"gern dort sind." Das war sehr fein und schonend; aber bloß für Viktors Herz verständlich: "einem "schönen Schwärmer (sagt' er und fragte wie alle¬ "mal nach dem scheinbaren Widerspruch zwischen Viktors Leben und zwischen Viktors Meinun¬ "gen nichts) einem feurigen Dichter würd' ich ra¬ "then, zu Hause zu bleiben -- ihr Flug statt der "Pas, wäre im Hofleben was ein Hexameter in "der Prose ist, den die Kunstrichter nicht leiden "können -- und zur Seele mit dem weichsten ge¬ "fühlvollsten Herzen würd' ich sagen: entfliehe da¬ "mit, das Herz wird dort als Ueberbein genommen "wie der sechsfingerigten Familie in Anjou der "sechste Finger." . . . . Die Alte schüttelte den Kopf schnell links "Und doch, fuhr er fort, würd' "ich sie alle drei auf einen Monat an den Hof zie¬ "hen und sie unglücklich machen, um sie weise zu "machen." Die Kammerherrschaft konnte sich in Viktor nicht so gut wie mein Leser schicken, der zu meinem größten Vergnügen Laune und das Ta¬ lent, alle Seiten einer Sache zu beschauen, so ge¬ schickt von Schmeichelei und Skeptizismus unter¬ scheidet. Klotilde hatte langsam den Kopf zum letz¬ ten Satze geschüttelt. Ueberhaupt disputirten heute alle für und wider ihn in jenem theilnehmenden Tone, den Weiber und Verwandte allemal gegen ei¬ nen Fremden annehmen, wenn sie eine Stunde vor¬
»gern dort ſind.« Das war ſehr fein und ſchonend; aber bloß fuͤr Viktors Herz verſtaͤndlich: »einem »ſchoͤnen Schwaͤrmer (ſagt' er und fragte wie alle¬ »mal nach dem ſcheinbaren Widerſpruch zwiſchen Viktors Leben und zwiſchen Viktors Meinun¬ »gen nichts) einem feurigen Dichter wuͤrd' ich ra¬ »then, zu Hauſe zu bleiben — ihr Flug ſtatt der »Pas, waͤre im Hofleben was ein Hexameter in »der Proſe iſt, den die Kunſtrichter nicht leiden »koͤnnen — und zur Seele mit dem weichſten ge¬ »fuͤhlvollſten Herzen wuͤrd' ich ſagen: entfliehe da¬ »mit, das Herz wird dort als Ueberbein genommen »wie der ſechsfingerigten Familie in Anjou der »ſechſte Finger.« . . . . Die Alte ſchuͤttelte den Kopf ſchnell links »Und doch, fuhr er fort, wuͤrd' »ich ſie alle drei auf einen Monat an den Hof zie¬ »hen und ſie ungluͤcklich machen, um ſie weiſe zu »machen.« Die Kammerherrſchaft konnte ſich in Viktor nicht ſo gut wie mein Leſer ſchicken, der zu meinem groͤßten Vergnuͤgen Laune und das Ta¬ lent, alle Seiten einer Sache zu beſchauen, ſo ge¬ ſchickt von Schmeichelei und Skeptizismus unter¬ ſcheidet. Klotilde hatte langſam den Kopf zum letz¬ ten Satze geſchuͤttelt. Ueberhaupt disputirten heute alle fuͤr und wider ihn in jenem theilnehmenden Tone, den Weiber und Verwandte allemal gegen ei¬ nen Fremden annehmen, wenn ſie eine Stunde vor¬
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»gern dort ſind.« Das war ſehr fein und ſchonend;
aber bloß fuͤr Viktors Herz verſtaͤndlich: »einem
»ſchoͤnen Schwaͤrmer (ſagt' er und fragte wie alle¬
»mal nach dem ſcheinbaren Widerſpruch zwiſchen
Viktors Leben und zwiſchen Viktors Meinun¬
»gen nichts) einem feurigen Dichter wuͤrd' ich ra¬
»then, zu Hauſe zu bleiben — ihr Flug ſtatt der
»Pas, waͤre im Hofleben was ein Hexameter in
»der Proſe iſt, den die Kunſtrichter nicht leiden
»koͤnnen — und zur Seele mit dem weichſten ge¬
»fuͤhlvollſten Herzen wuͤrd' ich ſagen: entfliehe da¬
»mit, das Herz wird dort als Ueberbein genommen
»wie der ſechsfingerigten Familie in Anjou der
»ſechſte Finger.« . . . . Die Alte ſchuͤttelte den
Kopf ſchnell links »Und doch, fuhr er fort, wuͤrd'
»ich ſie alle drei auf einen Monat an den Hof zie¬
»hen und ſie ungluͤcklich machen, um ſie weiſe zu
»machen.« Die Kammerherrſchaft konnte ſich in
Viktor nicht ſo gut wie mein Leſer ſchicken, der
zu meinem groͤßten Vergnuͤgen Laune und das Ta¬
lent, alle Seiten einer Sache zu beſchauen, ſo ge¬
ſchickt von Schmeichelei und Skeptizismus unter¬
ſcheidet. Klotilde hatte langſam den Kopf zum letz¬
ten Satze geſchuͤttelt. Ueberhaupt disputirten heute
alle fuͤr und wider ihn in jenem theilnehmenden
Tone, den Weiber und Verwandte allemal gegen ei¬
nen Fremden annehmen, wenn ſie eine Stunde vor¬
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/389>, abgerufen am 22.11.2024.
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