kleinere, sondern durch größere aber ironischere Höflichkeit. Aber er und Flamin waren vertrauli¬ cher als je.
Vormittags unter dem Rasiren, ohne sich noch einmal zu überwaschen sprang Viktor auf und packte sogleich den Stiefelknecht ein und riß die Hangrie¬ men der Kleider entzwei und vozirte Meßhelfer und Adjutanten, die seinen Lebens-Ballast -- ausschifften (wegen seiner elenden Packerei) und dann einschifften. Denn er überließ seine Meublen und die ganze Ku¬ ratel des Gerümpels unsers kleinlichen Lebensappa¬ rats fremden Händen, und zwar das mit einer sol¬ chen Verachtung dieses Gerümpels und mit einer solchen sorglosen Verschwendung, -- ich werde meinen Helden nie verläumden: aber es ist durch Spizium erwiesen, daß er nie das Kurrentgeld eines versilber¬ ten Geldstücks kollazionirte und nie einem Juden, Römer und Hernhuter etwas im Handel abbrach -- so sehr sag' ich, daß die ganze weibliche Hansee in St. Lüne schrie: ei der Narr! und daß die Kaplänin sich immer an seine Stelle auf den Handelsplatz ein¬ schob. Er war aber nicht zu bessern, weil er die Le¬ bensreise und also den Reisebündel mit so philoso¬ phischen Augen verkleinerte und weil er vor nichts so erröthete als vor jedem Scheine des Eigennutzes; er lief allen Anstalten, Vorreitern und Probekomö¬ dien davon, wenn sie seinetwegen auftraten -- er
kleinere, ſondern durch groͤßere aber ironiſchere Hoͤflichkeit. Aber er und Flamin waren vertrauli¬ cher als je.
Vormittags unter dem Raſiren, ohne ſich noch einmal zu uͤberwaſchen ſprang Viktor auf und packte ſogleich den Stiefelknecht ein und riß die Hangrie¬ men der Kleider entzwei und vozirte Meßhelfer und Adjutanten, die ſeinen Lebens-Ballaſt — ausſchifften (wegen ſeiner elenden Packerei) und dann einſchifften. Denn er uͤberließ ſeine Meublen und die ganze Ku¬ ratel des Geruͤmpels unſers kleinlichen Lebensappa¬ rats fremden Haͤnden, und zwar das mit einer ſol¬ chen Verachtung dieſes Geruͤmpels und mit einer ſolchen ſorgloſen Verſchwendung, — ich werde meinen Helden nie verlaͤumden: aber es iſt durch Spizium erwieſen, daß er nie das Kurrentgeld eines verſilber¬ ten Geldſtuͤcks kollazionirte und nie einem Juden, Roͤmer und Hernhuter etwas im Handel abbrach — ſo ſehr ſag' ich, daß die ganze weibliche Hanſee in St. Luͤne ſchrie: ei der Narr! und daß die Kaplaͤnin ſich immer an ſeine Stelle auf den Handelsplatz ein¬ ſchob. Er war aber nicht zu beſſern, weil er die Le¬ bensreiſe und alſo den Reiſebuͤndel mit ſo philoſo¬ phiſchen Augen verkleinerte und weil er vor nichts ſo erroͤthete als vor jedem Scheine des Eigennutzes; er lief allen Anſtalten, Vorreitern und Probekomoͤ¬ dien davon, wenn ſie ſeinetwegen auftraten — er
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kleinere, ſondern durch groͤßere aber ironiſchere
Hoͤflichkeit. Aber er und Flamin waren vertrauli¬
cher als je.
Vormittags unter dem Raſiren, ohne ſich noch
einmal zu uͤberwaſchen ſprang Viktor auf und packte
ſogleich den Stiefelknecht ein und riß die Hangrie¬
men der Kleider entzwei und vozirte Meßhelfer und
Adjutanten, die ſeinen Lebens-Ballaſt — ausſchifften
(wegen ſeiner elenden Packerei) und dann einſchifften.
Denn er uͤberließ ſeine Meublen und die ganze Ku¬
ratel des Geruͤmpels unſers kleinlichen Lebensappa¬
rats fremden Haͤnden, und zwar das mit einer ſol¬
chen Verachtung dieſes Geruͤmpels und mit einer
ſolchen ſorgloſen Verſchwendung, — ich werde meinen
Helden nie verlaͤumden: aber es iſt durch Spizium
erwieſen, daß er nie das Kurrentgeld eines verſilber¬
ten Geldſtuͤcks kollazionirte und nie einem Juden,
Roͤmer und Hernhuter etwas im Handel abbrach —
ſo ſehr ſag' ich, daß die ganze weibliche Hanſee in
St. Luͤne ſchrie: ei der Narr! und daß die Kaplaͤnin
ſich immer an ſeine Stelle auf den Handelsplatz ein¬
ſchob. Er war aber nicht zu beſſern, weil er die Le¬
bensreiſe und alſo den Reiſebuͤndel mit ſo philoſo¬
phiſchen Augen verkleinerte und weil er vor nichts
ſo erroͤthete als vor jedem Scheine des Eigennutzes;
er lief allen Anſtalten, Vorreitern und Probekomoͤ¬
dien davon, wenn ſie ſeinetwegen auftraten — er
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/383>, abgerufen am 22.11.2024.
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