spektive und die Alpen und Wälder lösete er in un¬ bewegliche Nebel auf -- über der halben Erdkugel stand tief der Lethefluß des Schlafes, unter der grünen Rinde stand das Todtenmeer, und zwei lie¬ bende Menschen lebten zwischen dem weiten Schlafe und Tod. . . Jetzt dachte Viktor zwar noch glühen¬ der, hier neben diese Birke unter diesen kalten Bo¬ den wird seine zerfallne Brust auf ewig verborgen und sie blutet nicht mehr, aber sie schlägt auch nicht mehr -- er dachte zwar an trübe Aehnlichkeiten, als die unbeweglichen Sterne auf- und abzu¬ steigen schienen, bloß weil die spielende Erde sich um sie wendet und sie zeigt und deckt -- er sah zwar melancholisch von den Irrlichtern weg, die über Thäler rennend, allein an der ernsten Nacht hinanhüpften und an Gräbern und die um einen einsamen Pulverthurm gaukelnde Kreise beschrie¬ ben. -- --
Aber doch schwieg er und dachte: "wir haben uns ja noch."
Aber dann wurd' es seinem blutigen Herzen zu viel, als die Flötenklagen des Blinden aus dem ein¬ samen Hause in die Nacht auszogen und über den Berg und über das künftige Grab hinübergingen -- Dann wurden den Seufzern Stimmen und der Zu¬ kunft Todtenglocken gegeben und es that ihm zu wehe, als er unter dem Flötengetöne es dachte, dieser
ſpektive und die Alpen und Waͤlder loͤſete er in un¬ bewegliche Nebel auf — uͤber der halben Erdkugel ſtand tief der Lethefluß des Schlafes, unter der gruͤnen Rinde ſtand das Todtenmeer, und zwei lie¬ bende Menſchen lebten zwiſchen dem weiten Schlafe und Tod. . . Jetzt dachte Viktor zwar noch gluͤhen¬ der, hier neben dieſe Birke unter dieſen kalten Bo¬ den wird ſeine zerfallne Bruſt auf ewig verborgen und ſie blutet nicht mehr, aber ſie ſchlaͤgt auch nicht mehr — er dachte zwar an truͤbe Aehnlichkeiten, als die unbeweglichen Sterne auf- und abzu¬ ſteigen ſchienen, bloß weil die ſpielende Erde ſich um ſie wendet und ſie zeigt und deckt — er ſah zwar melancholiſch von den Irrlichtern weg, die uͤber Thaͤler rennend, allein an der ernſten Nacht hinanhuͤpften und an Graͤbern und die um einen einſamen Pulverthurm gaukelnde Kreiſe beſchrie¬ ben. — —
Aber doch ſchwieg er und dachte: »wir haben uns ja noch.«
Aber dann wurd' es ſeinem blutigen Herzen zu viel, als die Floͤtenklagen des Blinden aus dem ein¬ ſamen Hauſe in die Nacht auszogen und uͤber den Berg und uͤber das kuͤnftige Grab hinuͤbergingen — Dann wurden den Seufzern Stimmen und der Zu¬ kunft Todtenglocken gegeben und es that ihm zu wehe, als er unter dem Floͤtengetoͤne es dachte, dieſer
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0361"n="350"/>ſpektive und die Alpen und Waͤlder loͤſete er in un¬<lb/>
bewegliche Nebel auf —<hirendition="#g">uͤber</hi> der halben Erdkugel<lb/>ſtand tief der Lethefluß des Schlafes, <hirendition="#g">unter</hi> der<lb/>
gruͤnen Rinde ſtand das Todtenmeer, und zwei lie¬<lb/>
bende Menſchen lebten zwiſchen dem weiten Schlafe<lb/>
und Tod. . . Jetzt dachte Viktor zwar noch gluͤhen¬<lb/>
der, hier neben dieſe Birke unter dieſen kalten Bo¬<lb/>
den wird <hirendition="#g">ſeine</hi> zerfallne Bruſt auf ewig verborgen<lb/>
und ſie blutet nicht mehr, aber ſie ſchlaͤgt auch nicht<lb/>
mehr — er dachte zwar an truͤbe Aehnlichkeiten,<lb/>
als die <hirendition="#g">unbeweglichen</hi> Sterne <hirendition="#g">auf-</hi> und <hirendition="#g">abzu¬<lb/>ſteigen</hi>ſchienen, bloß weil die ſpielende <hirendition="#g">Erde</hi>ſich<lb/>
um ſie wendet und ſie <hirendition="#g">zeigt</hi> und <hirendition="#g">deckt</hi>— er ſah<lb/>
zwar melancholiſch von den Irrlichtern weg, die<lb/>
uͤber Thaͤler rennend, allein an der ernſten Nacht<lb/>
hinanhuͤpften und an Graͤbern und die um einen<lb/>
einſamen Pulverthurm gaukelnde Kreiſe beſchrie¬<lb/>
ben. ——</p><lb/><p>Aber doch ſchwieg er und dachte: »wir haben<lb/>
uns ja noch.«</p><lb/><p>Aber dann wurd' es ſeinem blutigen Herzen zu<lb/>
viel, als die Floͤtenklagen des Blinden aus dem ein¬<lb/>ſamen Hauſe in die Nacht auszogen und uͤber den<lb/>
Berg und uͤber das kuͤnftige Grab hinuͤbergingen —<lb/>
Dann wurden den Seufzern Stimmen und der Zu¬<lb/>
kunft Todtenglocken gegeben und es that ihm zu<lb/>
wehe, als er unter dem Floͤtengetoͤne es dachte, dieſer<lb/></p></div></body></text></TEI>
[350/0361]
ſpektive und die Alpen und Waͤlder loͤſete er in un¬
bewegliche Nebel auf — uͤber der halben Erdkugel
ſtand tief der Lethefluß des Schlafes, unter der
gruͤnen Rinde ſtand das Todtenmeer, und zwei lie¬
bende Menſchen lebten zwiſchen dem weiten Schlafe
und Tod. . . Jetzt dachte Viktor zwar noch gluͤhen¬
der, hier neben dieſe Birke unter dieſen kalten Bo¬
den wird ſeine zerfallne Bruſt auf ewig verborgen
und ſie blutet nicht mehr, aber ſie ſchlaͤgt auch nicht
mehr — er dachte zwar an truͤbe Aehnlichkeiten,
als die unbeweglichen Sterne auf- und abzu¬
ſteigen ſchienen, bloß weil die ſpielende Erde ſich
um ſie wendet und ſie zeigt und deckt — er ſah
zwar melancholiſch von den Irrlichtern weg, die
uͤber Thaͤler rennend, allein an der ernſten Nacht
hinanhuͤpften und an Graͤbern und die um einen
einſamen Pulverthurm gaukelnde Kreiſe beſchrie¬
ben. — —
Aber doch ſchwieg er und dachte: »wir haben
uns ja noch.«
Aber dann wurd' es ſeinem blutigen Herzen zu
viel, als die Floͤtenklagen des Blinden aus dem ein¬
ſamen Hauſe in die Nacht auszogen und uͤber den
Berg und uͤber das kuͤnftige Grab hinuͤbergingen —
Dann wurden den Seufzern Stimmen und der Zu¬
kunft Todtenglocken gegeben und es that ihm zu
wehe, als er unter dem Floͤtengetoͤne es dachte, dieſer
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/361>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.