Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

spektive und die Alpen und Wälder lösete er in un¬
bewegliche Nebel auf -- über der halben Erdkugel
stand tief der Lethefluß des Schlafes, unter der
grünen Rinde stand das Todtenmeer, und zwei lie¬
bende Menschen lebten zwischen dem weiten Schlafe
und Tod. . . Jetzt dachte Viktor zwar noch glühen¬
der, hier neben diese Birke unter diesen kalten Bo¬
den wird seine zerfallne Brust auf ewig verborgen
und sie blutet nicht mehr, aber sie schlägt auch nicht
mehr -- er dachte zwar an trübe Aehnlichkeiten,
als die unbeweglichen Sterne auf- und abzu¬
steigen
schienen, bloß weil die spielende Erde sich
um sie wendet und sie zeigt und deckt -- er sah
zwar melancholisch von den Irrlichtern weg, die
über Thäler rennend, allein an der ernsten Nacht
hinanhüpften und an Gräbern und die um einen
einsamen Pulverthurm gaukelnde Kreise beschrie¬
ben. -- --

Aber doch schwieg er und dachte: "wir haben
uns ja noch."

Aber dann wurd' es seinem blutigen Herzen zu
viel, als die Flötenklagen des Blinden aus dem ein¬
samen Hause in die Nacht auszogen und über den
Berg und über das künftige Grab hinübergingen --
Dann wurden den Seufzern Stimmen und der Zu¬
kunft Todtenglocken gegeben und es that ihm zu
wehe, als er unter dem Flötengetöne es dachte, dieser

ſpektive und die Alpen und Waͤlder loͤſete er in un¬
bewegliche Nebel auf — uͤber der halben Erdkugel
ſtand tief der Lethefluß des Schlafes, unter der
gruͤnen Rinde ſtand das Todtenmeer, und zwei lie¬
bende Menſchen lebten zwiſchen dem weiten Schlafe
und Tod. . . Jetzt dachte Viktor zwar noch gluͤhen¬
der, hier neben dieſe Birke unter dieſen kalten Bo¬
den wird ſeine zerfallne Bruſt auf ewig verborgen
und ſie blutet nicht mehr, aber ſie ſchlaͤgt auch nicht
mehr — er dachte zwar an truͤbe Aehnlichkeiten,
als die unbeweglichen Sterne auf- und abzu¬
ſteigen
ſchienen, bloß weil die ſpielende Erde ſich
um ſie wendet und ſie zeigt und deckt — er ſah
zwar melancholiſch von den Irrlichtern weg, die
uͤber Thaͤler rennend, allein an der ernſten Nacht
hinanhuͤpften und an Graͤbern und die um einen
einſamen Pulverthurm gaukelnde Kreiſe beſchrie¬
ben. — —

Aber doch ſchwieg er und dachte: »wir haben
uns ja noch.«

Aber dann wurd' es ſeinem blutigen Herzen zu
viel, als die Floͤtenklagen des Blinden aus dem ein¬
ſamen Hauſe in die Nacht auszogen und uͤber den
Berg und uͤber das kuͤnftige Grab hinuͤbergingen —
Dann wurden den Seufzern Stimmen und der Zu¬
kunft Todtenglocken gegeben und es that ihm zu
wehe, als er unter dem Floͤtengetoͤne es dachte, dieſer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0361" n="350"/>
&#x017F;pektive und die Alpen und Wa&#x0364;lder lo&#x0364;&#x017F;ete er in un¬<lb/>
bewegliche Nebel auf &#x2014; <hi rendition="#g">u&#x0364;ber</hi> der halben Erdkugel<lb/>
&#x017F;tand tief der Lethefluß des Schlafes, <hi rendition="#g">unter</hi> der<lb/>
gru&#x0364;nen Rinde &#x017F;tand das Todtenmeer, und zwei lie¬<lb/>
bende Men&#x017F;chen lebten zwi&#x017F;chen dem weiten Schlafe<lb/>
und Tod. . . Jetzt dachte Viktor zwar noch glu&#x0364;hen¬<lb/>
der, hier neben die&#x017F;e Birke unter die&#x017F;en kalten Bo¬<lb/>
den wird <hi rendition="#g">&#x017F;eine</hi> zerfallne Bru&#x017F;t auf ewig verborgen<lb/>
und &#x017F;ie blutet nicht mehr, aber &#x017F;ie &#x017F;chla&#x0364;gt auch nicht<lb/>
mehr &#x2014; er dachte zwar an tru&#x0364;be Aehnlichkeiten,<lb/>
als die <hi rendition="#g">unbeweglichen</hi> Sterne <hi rendition="#g">auf-</hi> und <hi rendition="#g">abzu¬<lb/>
&#x017F;teigen</hi> &#x017F;chienen, bloß weil die &#x017F;pielende <hi rendition="#g">Erde</hi> &#x017F;ich<lb/>
um &#x017F;ie wendet und &#x017F;ie <hi rendition="#g">zeigt</hi> und <hi rendition="#g">deckt</hi> &#x2014; er &#x017F;ah<lb/>
zwar melancholi&#x017F;ch von den Irrlichtern weg, die<lb/>
u&#x0364;ber Tha&#x0364;ler rennend, allein an der ern&#x017F;ten Nacht<lb/>
hinanhu&#x0364;pften und an Gra&#x0364;bern und die um einen<lb/>
ein&#x017F;amen Pulverthurm gaukelnde Krei&#x017F;e be&#x017F;chrie¬<lb/>
ben. &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
        <p>Aber doch &#x017F;chwieg er und dachte: »wir haben<lb/>
uns ja noch.«</p><lb/>
        <p>Aber dann wurd' es &#x017F;einem blutigen Herzen zu<lb/>
viel, als die Flo&#x0364;tenklagen des Blinden aus dem ein¬<lb/>
&#x017F;amen Hau&#x017F;e in die Nacht auszogen und u&#x0364;ber den<lb/>
Berg und u&#x0364;ber das ku&#x0364;nftige Grab hinu&#x0364;bergingen &#x2014;<lb/>
Dann wurden den Seufzern Stimmen und der Zu¬<lb/>
kunft Todtenglocken gegeben und es that ihm zu<lb/>
wehe, als er unter dem Flo&#x0364;tengeto&#x0364;ne es dachte, die&#x017F;er<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[350/0361] ſpektive und die Alpen und Waͤlder loͤſete er in un¬ bewegliche Nebel auf — uͤber der halben Erdkugel ſtand tief der Lethefluß des Schlafes, unter der gruͤnen Rinde ſtand das Todtenmeer, und zwei lie¬ bende Menſchen lebten zwiſchen dem weiten Schlafe und Tod. . . Jetzt dachte Viktor zwar noch gluͤhen¬ der, hier neben dieſe Birke unter dieſen kalten Bo¬ den wird ſeine zerfallne Bruſt auf ewig verborgen und ſie blutet nicht mehr, aber ſie ſchlaͤgt auch nicht mehr — er dachte zwar an truͤbe Aehnlichkeiten, als die unbeweglichen Sterne auf- und abzu¬ ſteigen ſchienen, bloß weil die ſpielende Erde ſich um ſie wendet und ſie zeigt und deckt — er ſah zwar melancholiſch von den Irrlichtern weg, die uͤber Thaͤler rennend, allein an der ernſten Nacht hinanhuͤpften und an Graͤbern und die um einen einſamen Pulverthurm gaukelnde Kreiſe beſchrie¬ ben. — — Aber doch ſchwieg er und dachte: »wir haben uns ja noch.« Aber dann wurd' es ſeinem blutigen Herzen zu viel, als die Floͤtenklagen des Blinden aus dem ein¬ ſamen Hauſe in die Nacht auszogen und uͤber den Berg und uͤber das kuͤnftige Grab hinuͤbergingen — Dann wurden den Seufzern Stimmen und der Zu¬ kunft Todtenglocken gegeben und es that ihm zu wehe, als er unter dem Floͤtengetoͤne es dachte, dieſer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/361
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/361>, abgerufen am 23.11.2024.