Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

Aber sie kamen an unter der Trauerbirke, und
sein Auge und seine Stimme hatte noch der Schmerz.
"Ach (dacht' er) wie groß war hier die erste Nacht
und wie schmerzhaft ist diese!" Sie ruhten auf der
Erde neben einander an der Grasbank einsam,
schweigend, trauernd vor dem dunkel schimmernden
Universum. Viktor konnte den belasteten Athemzug
der zerstörten Brust vernehmen und das künftige
Grab auf diesem Berge schien sich neben ihm aufzu¬
wühlen. O wenn es bitter ist, neben dem Bette zu
stehen, in dem ein geliebtes erlöschendes Angesicht
mit den Farben des Todes liegt: so ist es noch viel
bitterer, mitten in den Szenen der Gesundheit hin¬
ter der aufgerichteten theuern Gestalt den arbeiten¬
den Tod zu hören und so oft zu denken, als die Ge¬
stalt frölich ist: "ach sey noch frölicher, in Kurzem
"hat er dich umgenagt und du bist vergangen mit
"deinen Freuden und mit meinen!" -- Ach, es
giebt ja keinen Freund, und keine Freundin, bei de¬
nen wir das nicht denken müßten! --

Er wußte nicht, warum Dahore so lange still
war -- Er sah nicht voraus daß der Mond den
Berg früher bestralen werde als die Tiefe. Der
Mond, dieser Leichtthurm am Ufer der zweiten-
Welt umzog jetzt den Menschen mit bleichen Gefil¬
den, die aus Träumen genommen waren, mit blaß
schimmernden Auen aus einer überirrdischen Per¬

Aber ſie kamen an unter der Trauerbirke, und
ſein Auge und ſeine Stimme hatte noch der Schmerz.
»Ach (dacht' er) wie groß war hier die erſte Nacht
und wie ſchmerzhaft iſt dieſe!« Sie ruhten auf der
Erde neben einander an der Grasbank einſam,
ſchweigend, trauernd vor dem dunkel ſchimmernden
Univerſum. Viktor konnte den belaſteten Athemzug
der zerſtoͤrten Bruſt vernehmen und das kuͤnftige
Grab auf dieſem Berge ſchien ſich neben ihm aufzu¬
wuͤhlen. O wenn es bitter iſt, neben dem Bette zu
ſtehen, in dem ein geliebtes erloͤſchendes Angeſicht
mit den Farben des Todes liegt: ſo iſt es noch viel
bitterer, mitten in den Szenen der Geſundheit hin¬
ter der aufgerichteten theuern Geſtalt den arbeiten¬
den Tod zu hoͤren und ſo oft zu denken, als die Ge¬
ſtalt froͤlich iſt: »ach ſey noch froͤlicher, in Kurzem
»hat er dich umgenagt und du biſt vergangen mit
»deinen Freuden und mit meinen!« — Ach, es
giebt ja keinen Freund, und keine Freundin, bei de¬
nen wir das nicht denken muͤßten! —

Er wußte nicht, warum Dahore ſo lange ſtill
war — Er ſah nicht voraus daß der Mond den
Berg fruͤher beſtralen werde als die Tiefe. Der
Mond, dieſer Leichtthurm am Ufer der zweiten-
Welt umzog jetzt den Menſchen mit bleichen Gefil¬
den, die aus Traͤumen genommen waren, mit blaß
ſchimmernden Auen aus einer uͤberirrdiſchen Per¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0360" n="349"/>
        <p>Aber &#x017F;ie kamen an unter der Trauerbirke, und<lb/>
&#x017F;ein Auge und &#x017F;eine Stimme hatte noch der Schmerz.<lb/>
»Ach (dacht' er) wie groß war hier die er&#x017F;te Nacht<lb/>
und wie &#x017F;chmerzhaft i&#x017F;t die&#x017F;e!« Sie ruhten auf der<lb/>
Erde neben einander an der Grasbank ein&#x017F;am,<lb/>
&#x017F;chweigend, trauernd vor dem dunkel &#x017F;chimmernden<lb/>
Univer&#x017F;um. Viktor konnte den bela&#x017F;teten Athemzug<lb/>
der zer&#x017F;to&#x0364;rten Bru&#x017F;t vernehmen und das ku&#x0364;nftige<lb/>
Grab auf die&#x017F;em Berge &#x017F;chien &#x017F;ich neben ihm aufzu¬<lb/>
wu&#x0364;hlen. O wenn es bitter i&#x017F;t, neben dem Bette zu<lb/>
&#x017F;tehen, in dem ein geliebtes erlo&#x0364;&#x017F;chendes Ange&#x017F;icht<lb/>
mit den Farben des Todes liegt: &#x017F;o i&#x017F;t es noch viel<lb/>
bitterer, mitten in den Szenen der Ge&#x017F;undheit hin¬<lb/>
ter der aufgerichteten theuern Ge&#x017F;talt den arbeiten¬<lb/>
den Tod zu ho&#x0364;ren und &#x017F;o oft zu denken, als die Ge¬<lb/>
&#x017F;talt fro&#x0364;lich i&#x017F;t: »ach &#x017F;ey noch fro&#x0364;licher, in Kurzem<lb/>
»hat er dich umgenagt und du bi&#x017F;t vergangen mit<lb/>
»deinen Freuden und mit meinen!« &#x2014; Ach, es<lb/>
giebt ja keinen Freund, und keine Freundin, bei de¬<lb/>
nen wir das nicht denken mu&#x0364;ßten! &#x2014;</p><lb/>
        <p>Er wußte nicht, warum Dahore &#x017F;o lange &#x017F;till<lb/>
war &#x2014; Er &#x017F;ah nicht voraus daß der Mond den<lb/>
Berg fru&#x0364;her be&#x017F;tralen werde als die Tiefe. Der<lb/>
Mond, die&#x017F;er Leichtthurm am Ufer der zweiten-<lb/>
Welt umzog jetzt den Men&#x017F;chen mit bleichen Gefil¬<lb/>
den, die aus Tra&#x0364;umen genommen waren, mit blaß<lb/>
&#x017F;chimmernden Auen aus einer u&#x0364;berirrdi&#x017F;chen Per¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[349/0360] Aber ſie kamen an unter der Trauerbirke, und ſein Auge und ſeine Stimme hatte noch der Schmerz. »Ach (dacht' er) wie groß war hier die erſte Nacht und wie ſchmerzhaft iſt dieſe!« Sie ruhten auf der Erde neben einander an der Grasbank einſam, ſchweigend, trauernd vor dem dunkel ſchimmernden Univerſum. Viktor konnte den belaſteten Athemzug der zerſtoͤrten Bruſt vernehmen und das kuͤnftige Grab auf dieſem Berge ſchien ſich neben ihm aufzu¬ wuͤhlen. O wenn es bitter iſt, neben dem Bette zu ſtehen, in dem ein geliebtes erloͤſchendes Angeſicht mit den Farben des Todes liegt: ſo iſt es noch viel bitterer, mitten in den Szenen der Geſundheit hin¬ ter der aufgerichteten theuern Geſtalt den arbeiten¬ den Tod zu hoͤren und ſo oft zu denken, als die Ge¬ ſtalt froͤlich iſt: »ach ſey noch froͤlicher, in Kurzem »hat er dich umgenagt und du biſt vergangen mit »deinen Freuden und mit meinen!« — Ach, es giebt ja keinen Freund, und keine Freundin, bei de¬ nen wir das nicht denken muͤßten! — Er wußte nicht, warum Dahore ſo lange ſtill war — Er ſah nicht voraus daß der Mond den Berg fruͤher beſtralen werde als die Tiefe. Der Mond, dieſer Leichtthurm am Ufer der zweiten- Welt umzog jetzt den Menſchen mit bleichen Gefil¬ den, die aus Traͤumen genommen waren, mit blaß ſchimmernden Auen aus einer uͤberirrdiſchen Per¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/360
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/360>, abgerufen am 26.11.2024.