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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

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"schen der Tugend und mir, weil beide mich sonst
"nicht entzücken könnten. Und ist denn dieser Ein¬
"klang den der Mensch mit der ganzen Schöpfung
"(nur in verschiedenen Oktaven,) macht nur ein
"Spiel des Ewigen oder der Nachhall einer nähern,
"größern Harmonie?" Eben so blickte er oft eine
glimmende Kohle so lange an, bis sie ihm zu einer
Flammen-Aue sich ausgebreitet hatte, die er von
sanften Phantasien beleuchtet auf und niederwan¬
delte. . . .

Erdulde, Leser, diese blumigte Seele; wir wollen
alle beide denken, daß die Menschen leichter Eine
Religion als Eine Philosophie haben können, und
daß jedes System seine eigne Textur des Herzens
voraussetze, und daß das Herz die Knospe des Ko¬
pfes sey.

Ein einziger Umstand schmerzte unsern beglückten
Viktor an diesem Morgen, daß er den schönen Blin¬
den nicht umfassen und fragen durfte: "haben wir
"nicht schon beisammengelebt und ist dir meine
"Stimme nicht so bekannt wie mir deine?" denn er
hielt ihn (wie ich auch) aus mehreren Gründen für
den zurückgebliebnen Sohn des Pfarrer Eymanns.
Da aber Dahore darüber schwieg -- in dessen hellen
lichten Himmel man sonst bis zum kleinsten Nebel¬
stern hinabschauen konnte: -- so fürchtete er, vor
diesen frommen Ohren seinem Eide zu nahe zu re¬

»ſchen der Tugend und mir, weil beide mich ſonſt
»nicht entzuͤcken koͤnnten. Und iſt denn dieſer Ein¬
»klang den der Menſch mit der ganzen Schoͤpfung
»(nur in verſchiedenen Oktaven,) macht nur ein
»Spiel des Ewigen oder der Nachhall einer naͤhern,
»groͤßern Harmonie?« Eben ſo blickte er oft eine
glimmende Kohle ſo lange an, bis ſie ihm zu einer
Flammen-Aue ſich ausgebreitet hatte, die er von
ſanften Phantaſien beleuchtet auf und niederwan¬
delte. . . .

Erdulde, Leſer, dieſe blumigte Seele; wir wollen
alle beide denken, daß die Menſchen leichter Eine
Religion als Eine Philoſophie haben koͤnnen, und
daß jedes Syſtem ſeine eigne Textur des Herzens
vorausſetze, und daß das Herz die Knoſpe des Ko¬
pfes ſey.

Ein einziger Umſtand ſchmerzte unſern begluͤckten
Viktor an dieſem Morgen, daß er den ſchoͤnen Blin¬
den nicht umfaſſen und fragen durfte: »haben wir
»nicht ſchon beiſammengelebt und iſt dir meine
»Stimme nicht ſo bekannt wie mir deine?« denn er
hielt ihn (wie ich auch) aus mehreren Gruͤnden fuͤr
den zuruͤckgebliebnen Sohn des Pfarrer Eymanns.
Da aber Dahore daruͤber ſchwieg — in deſſen hellen
lichten Himmel man ſonſt bis zum kleinſten Nebel¬
ſtern hinabſchauen konnte: — ſo fuͤrchtete er, vor
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[325/0336] »ſchen der Tugend und mir, weil beide mich ſonſt »nicht entzuͤcken koͤnnten. Und iſt denn dieſer Ein¬ »klang den der Menſch mit der ganzen Schoͤpfung »(nur in verſchiedenen Oktaven,) macht nur ein »Spiel des Ewigen oder der Nachhall einer naͤhern, »groͤßern Harmonie?« Eben ſo blickte er oft eine glimmende Kohle ſo lange an, bis ſie ihm zu einer Flammen-Aue ſich ausgebreitet hatte, die er von ſanften Phantaſien beleuchtet auf und niederwan¬ delte. . . . Erdulde, Leſer, dieſe blumigte Seele; wir wollen alle beide denken, daß die Menſchen leichter Eine Religion als Eine Philoſophie haben koͤnnen, und daß jedes Syſtem ſeine eigne Textur des Herzens vorausſetze, und daß das Herz die Knoſpe des Ko¬ pfes ſey. Ein einziger Umſtand ſchmerzte unſern begluͤckten Viktor an dieſem Morgen, daß er den ſchoͤnen Blin¬ den nicht umfaſſen und fragen durfte: »haben wir »nicht ſchon beiſammengelebt und iſt dir meine »Stimme nicht ſo bekannt wie mir deine?« denn er hielt ihn (wie ich auch) aus mehreren Gruͤnden fuͤr den zuruͤckgebliebnen Sohn des Pfarrer Eymanns. Da aber Dahore daruͤber ſchwieg — in deſſen hellen lichten Himmel man ſonſt bis zum kleinſten Nebel¬ ſtern hinabſchauen konnte: — ſo fuͤrchtete er, vor dieſen frommen Ohren ſeinem Eide zu nahe zu re¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/336>, abgerufen am 24.11.2024.