Ach er ergoß sich in Freuden- und Trauerthrä¬ nen mit einander und die Zukunft und die Vergan¬ genheit bewegten zugleich sein Herz. -- Die Sonne fiel immer schneller den Himmel herab, und er be¬ stieg schneller den Berg, um ihr länger nachzusehen -- Und hier sah er in das Dörfgen Maienthal hin¬ ab, das zwischen feuchten Schatten glimmte. . . .
Zu seinen Füßen und an diesem Berge lagerte sich wie ein bekränzter Riese, wie eine versetzte Frühlings-Insel ein englischer Park. Dieser Berg gegen Süden und einer gegen Norden waren zu ei¬ ner Wiege zusammen gerückt, in der das stille Dörf¬ gen ruhte und über welche die Morgen- und die Abendsonne ihr goldnes Gespinst deckte. In fünf brillantirten Teichen schwankten fünf dunklere Abend¬ himmel und jede aufhüpfende Welle mahlte sich im darüberschwebenden Sonnenfeuer zum Rubin. Zwei Bäche wateten in veränderlichen Entfernungen, von Rosen und Weiden verdunkelt, über den langen Wie¬ sengrund und ein wässerndes Feuerrad trieb wie ein gehendes Herz das vom Abend geröthete Wasser durch alle grünende Blumengefäße. Ueberall nickten Blumen, diese Schmetterlinge unter den Gewächsen -- auf jedem bemosten Bachstein, aus jedem mürben Stocke, um jedes Fenster wiegte sich eine Blume in ihrem Duft und spanische Wicken überzogen mit blauen und rothen Adern einen Garten ohne Zaun.
Ach er ergoß ſich in Freuden- und Trauerthraͤ¬ nen mit einander und die Zukunft und die Vergan¬ genheit bewegten zugleich ſein Herz. — Die Sonne fiel immer ſchneller den Himmel herab, und er be¬ ſtieg ſchneller den Berg, um ihr laͤnger nachzuſehen — Und hier ſah er in das Doͤrfgen Maienthal hin¬ ab, das zwiſchen feuchten Schatten glimmte. . . .
Zu ſeinen Fuͤßen und an dieſem Berge lagerte ſich wie ein bekraͤnzter Rieſe, wie eine verſetzte Fruͤhlings-Inſel ein engliſcher Park. Dieſer Berg gegen Suͤden und einer gegen Norden waren zu ei¬ ner Wiege zuſammen geruͤckt, in der das ſtille Doͤrf¬ gen ruhte und uͤber welche die Morgen- und die Abendſonne ihr goldnes Geſpinſt deckte. In fuͤnf brillantirten Teichen ſchwankten fuͤnf dunklere Abend¬ himmel und jede aufhuͤpfende Welle mahlte ſich im daruͤberſchwebenden Sonnenfeuer zum Rubin. Zwei Baͤche wateten in veraͤnderlichen Entfernungen, von Roſen und Weiden verdunkelt, uͤber den langen Wie¬ ſengrund und ein waͤſſerndes Feuerrad trieb wie ein gehendes Herz das vom Abend geroͤthete Waſſer durch alle gruͤnende Blumengefaͤße. Ueberall nickten Blumen, dieſe Schmetterlinge unter den Gewaͤchſen — auf jedem bemoſten Bachſtein, aus jedem muͤrben Stocke, um jedes Fenſter wiegte ſich eine Blume in ihrem Duft und ſpaniſche Wicken uͤberzogen mit blauen und rothen Adern einen Garten ohne Zaun.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0322"n="311"/><p>Ach er ergoß ſich in Freuden- und Trauerthraͤ¬<lb/>
nen mit einander und die Zukunft und die Vergan¬<lb/>
genheit bewegten zugleich ſein Herz. — Die Sonne<lb/>
fiel immer ſchneller den Himmel herab, und er be¬<lb/>ſtieg ſchneller den Berg, um ihr laͤnger nachzuſehen<lb/>— Und hier ſah er in das Doͤrfgen Maienthal hin¬<lb/>
ab, das zwiſchen feuchten Schatten glimmte. . . .</p><lb/><p>Zu ſeinen Fuͤßen und an dieſem Berge lagerte<lb/>ſich wie ein bekraͤnzter Rieſe, wie eine verſetzte<lb/>
Fruͤhlings-Inſel ein engliſcher Park. Dieſer Berg<lb/>
gegen Suͤden und einer gegen Norden waren zu ei¬<lb/>
ner Wiege zuſammen geruͤckt, in der das ſtille Doͤrf¬<lb/>
gen ruhte und uͤber welche die Morgen- und die<lb/>
Abendſonne ihr goldnes Geſpinſt deckte. In fuͤnf<lb/>
brillantirten Teichen ſchwankten fuͤnf dunklere Abend¬<lb/>
himmel und jede aufhuͤpfende Welle mahlte ſich im<lb/>
daruͤberſchwebenden Sonnenfeuer zum Rubin. Zwei<lb/>
Baͤche wateten in veraͤnderlichen Entfernungen, von<lb/>
Roſen und Weiden verdunkelt, uͤber den langen Wie¬<lb/>ſengrund und ein waͤſſerndes Feuerrad trieb wie ein<lb/>
gehendes Herz das vom Abend geroͤthete Waſſer<lb/>
durch alle gruͤnende Blumengefaͤße. Ueberall nickten<lb/>
Blumen, dieſe Schmetterlinge unter den Gewaͤchſen<lb/>— auf jedem bemoſten Bachſtein, aus jedem muͤrben<lb/>
Stocke, um jedes Fenſter wiegte ſich eine Blume<lb/>
in ihrem Duft und ſpaniſche Wicken uͤberzogen mit<lb/>
blauen und rothen Adern einen Garten ohne Zaun.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[311/0322]
Ach er ergoß ſich in Freuden- und Trauerthraͤ¬
nen mit einander und die Zukunft und die Vergan¬
genheit bewegten zugleich ſein Herz. — Die Sonne
fiel immer ſchneller den Himmel herab, und er be¬
ſtieg ſchneller den Berg, um ihr laͤnger nachzuſehen
— Und hier ſah er in das Doͤrfgen Maienthal hin¬
ab, das zwiſchen feuchten Schatten glimmte. . . .
Zu ſeinen Fuͤßen und an dieſem Berge lagerte
ſich wie ein bekraͤnzter Rieſe, wie eine verſetzte
Fruͤhlings-Inſel ein engliſcher Park. Dieſer Berg
gegen Suͤden und einer gegen Norden waren zu ei¬
ner Wiege zuſammen geruͤckt, in der das ſtille Doͤrf¬
gen ruhte und uͤber welche die Morgen- und die
Abendſonne ihr goldnes Geſpinſt deckte. In fuͤnf
brillantirten Teichen ſchwankten fuͤnf dunklere Abend¬
himmel und jede aufhuͤpfende Welle mahlte ſich im
daruͤberſchwebenden Sonnenfeuer zum Rubin. Zwei
Baͤche wateten in veraͤnderlichen Entfernungen, von
Roſen und Weiden verdunkelt, uͤber den langen Wie¬
ſengrund und ein waͤſſerndes Feuerrad trieb wie ein
gehendes Herz das vom Abend geroͤthete Waſſer
durch alle gruͤnende Blumengefaͤße. Ueberall nickten
Blumen, dieſe Schmetterlinge unter den Gewaͤchſen
— auf jedem bemoſten Bachſtein, aus jedem muͤrben
Stocke, um jedes Fenſter wiegte ſich eine Blume
in ihrem Duft und ſpaniſche Wicken uͤberzogen mit
blauen und rothen Adern einen Garten ohne Zaun.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/322>, abgerufen am 10.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.