mit entkleideten Kindern -- Die gesenkte Sonne wurde bald erhoben bald vertieft, bald auf Gipfel der Wälder, bald auf Gipfel der Berge gezogen --
Dieses Vorüberfliehen der Szenen verdunkelte sein benetztes Auge und erhellte die innere Welt: aber das Stehenbleiben eines unaufhörlichen Tones, dieses über ihm bleibende Lerchenchor, dessen strei¬ tende Rufe in seiner Seele zu Einem zerflossen, die¬ ses entfernte Getöne aus Wäldern und Büschen und Lüften, diese Harmonika der Natur machte, daß er zu sich sagte: "warum halt' ich in dieser Einsam¬ keit jeden Tropfen der fallen will? Nein, ich bin ohnehin heute zu weich, und ich will mich erschöpfen eh' ich den großen Menschen sehe."
Endlich stieg er erschüttert den breiten Berg hin¬ auf, der sich vor das zu dessen Füßen grünende Maienthal mit seinen zerstreueten Baumsäulen und grauen Quadern stellt. . . . Da klang die vom Ewigen gestimmte Erde mit tausend Saiten; da be¬ wegte dieselbe Harmonie den in Gold und Nacht zerstückten Strom und den sumsenden Blumenkelch und die bewohnte Luft und den durchwehten Busch; da standen der geröthete Osten und der geröthete Westen wie die zwei rosataftnen Flügelthüren eines Flügels aufgespannt und ein hebendes Meer quoll aus dem geöfneten Himmel und aus der geöfneten Erde. . .
mit entkleideten Kindern — Die geſenkte Sonne wurde bald erhoben bald vertieft, bald auf Gipfel der Waͤlder, bald auf Gipfel der Berge gezogen —
Dieſes Voruͤberfliehen der Szenen verdunkelte ſein benetztes Auge und erhellte die innere Welt: aber das Stehenbleiben eines unaufhoͤrlichen Tones, dieſes uͤber ihm bleibende Lerchenchor, deſſen ſtrei¬ tende Rufe in ſeiner Seele zu Einem zerfloſſen, die¬ ſes entfernte Getoͤne aus Waͤldern und Buͤſchen und Luͤften, dieſe Harmonika der Natur machte, daß er zu ſich ſagte: »warum halt' ich in dieſer Einſam¬ keit jeden Tropfen der fallen will? Nein, ich bin ohnehin heute zu weich, und ich will mich erſchoͤpfen eh' ich den großen Menſchen ſehe.«
Endlich ſtieg er erſchuͤttert den breiten Berg hin¬ auf, der ſich vor das zu deſſen Fuͤßen gruͤnende Maienthal mit ſeinen zerſtreueten Baumſaͤulen und grauen Quadern ſtellt. . . . Da klang die vom Ewigen geſtimmte Erde mit tauſend Saiten; da be¬ wegte dieſelbe Harmonie den in Gold und Nacht zerſtuͤckten Strom und den ſumſenden Blumenkelch und die bewohnte Luft und den durchwehten Buſch; da ſtanden der geroͤthete Oſten und der geroͤthete Weſten wie die zwei roſataftnen Fluͤgelthuͤren eines Fluͤgels aufgeſpannt und ein hebendes Meer quoll aus dem geoͤfneten Himmel und aus der geoͤfneten Erde. . .
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mit entkleideten Kindern — Die geſenkte Sonne
wurde bald erhoben bald vertieft, bald auf Gipfel
der Waͤlder, bald auf Gipfel der Berge gezogen —
Dieſes Voruͤberfliehen der Szenen verdunkelte
ſein benetztes Auge und erhellte die innere Welt:
aber das Stehenbleiben eines unaufhoͤrlichen Tones,
dieſes uͤber ihm bleibende Lerchenchor, deſſen ſtrei¬
tende Rufe in ſeiner Seele zu Einem zerfloſſen, die¬
ſes entfernte Getoͤne aus Waͤldern und Buͤſchen und
Luͤften, dieſe Harmonika der Natur machte, daß er
zu ſich ſagte: »warum halt' ich in dieſer Einſam¬
keit jeden Tropfen der fallen will? Nein, ich bin
ohnehin heute zu weich, und ich will mich erſchoͤpfen
eh' ich den großen Menſchen ſehe.«
Endlich ſtieg er erſchuͤttert den breiten Berg hin¬
auf, der ſich vor das zu deſſen Fuͤßen gruͤnende
Maienthal mit ſeinen zerſtreueten Baumſaͤulen
und grauen Quadern ſtellt. . . . Da klang die vom
Ewigen geſtimmte Erde mit tauſend Saiten; da be¬
wegte dieſelbe Harmonie den in Gold und Nacht
zerſtuͤckten Strom und den ſumſenden Blumenkelch
und die bewohnte Luft und den durchwehten Buſch;
da ſtanden der geroͤthete Oſten und der geroͤthete
Weſten wie die zwei roſataftnen Fluͤgelthuͤren eines
Fluͤgels aufgeſpannt und ein hebendes Meer quoll
aus dem geoͤfneten Himmel und aus der geoͤfneten
Erde. . .
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/321>, abgerufen am 10.06.2024.
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