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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

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man sich allzeit für den einzigen hält, der gewisse
Dinge bemerkt -- Die Weiber und sanfte Leute
sind nur zaghaft in eignen Gefahren und herzhaft in
fremden, wenn sie retten sollen -- Traue keinem
(und wär' es ein Heiliger) der in der geringsten
Kleinigkeit seine Ehre im Stiche lässet; und einer
solchen Frau noch weniger -- Die erste Gefälligkeit
gewährt dir jeder gern, die zweite ungern, die dritte
gar nicht -- Die meisten verwechseln ihre Eitelkeit
mit ihrer Ehrliebe und geben Wunden der einen für
Wunden der andern aus und umgekehrt -- Was
wir aus Menschenliebe vorhaben, würden wir alle¬
mal erreichen, wenn wir keinen Eigennutz einmisch¬
ten -- Die Wärme eines Mannes wird von nichts
leichter verkannt als von der Wärme eines Jüng¬
lings. -- --

Diese letzte vielleicht relative Bemerkung sagte
er schon am Ufer der Insel in der Stellung des
Abschieds. Aber ob er ihn gleich mit jener höfli¬
chen Feinheit nahm, die in seinem Stande sogar ei¬
nem Vater und Sohn die Hände und Arme führt:
so drückte doch Viktor den kindlichen von lauter
Seufzern und Gefühlen schwangern Busen an den
väterlichen mit einer Heftigkeit als wollt' er sein
einsames Herz zu den Thränen entzweipressen, die er
zeigen mußte -- und als die Brücke, die ihre Tage
auseinander spaltete, aufgestiegen war, ging er allein

man ſich allzeit fuͤr den einzigen haͤlt, der gewiſſe
Dinge bemerkt — Die Weiber und ſanfte Leute
ſind nur zaghaft in eignen Gefahren und herzhaft in
fremden, wenn ſie retten ſollen — Traue keinem
(und waͤr' es ein Heiliger) der in der geringſten
Kleinigkeit ſeine Ehre im Stiche laͤſſet; und einer
ſolchen Frau noch weniger — Die erſte Gefaͤlligkeit
gewaͤhrt dir jeder gern, die zweite ungern, die dritte
gar nicht — Die meiſten verwechſeln ihre Eitelkeit
mit ihrer Ehrliebe und geben Wunden der einen fuͤr
Wunden der andern aus und umgekehrt — Was
wir aus Menſchenliebe vorhaben, wuͤrden wir alle¬
mal erreichen, wenn wir keinen Eigennutz einmiſch¬
ten — Die Waͤrme eines Mannes wird von nichts
leichter verkannt als von der Waͤrme eines Juͤng¬
lings. — —

Dieſe letzte vielleicht relative Bemerkung ſagte
er ſchon am Ufer der Inſel in der Stellung des
Abſchieds. Aber ob er ihn gleich mit jener hoͤfli¬
chen Feinheit nahm, die in ſeinem Stande ſogar ei¬
nem Vater und Sohn die Haͤnde und Arme fuͤhrt:
ſo druͤckte doch Viktor den kindlichen von lauter
Seufzern und Gefuͤhlen ſchwangern Buſen an den
vaͤterlichen mit einer Heftigkeit als wollt' er ſein
einſames Herz zu den Thraͤnen entzweipreſſen, die er
zeigen mußte — und als die Bruͤcke, die ihre Tage
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[297/0308] man ſich allzeit fuͤr den einzigen haͤlt, der gewiſſe Dinge bemerkt — Die Weiber und ſanfte Leute ſind nur zaghaft in eignen Gefahren und herzhaft in fremden, wenn ſie retten ſollen — Traue keinem (und waͤr' es ein Heiliger) der in der geringſten Kleinigkeit ſeine Ehre im Stiche laͤſſet; und einer ſolchen Frau noch weniger — Die erſte Gefaͤlligkeit gewaͤhrt dir jeder gern, die zweite ungern, die dritte gar nicht — Die meiſten verwechſeln ihre Eitelkeit mit ihrer Ehrliebe und geben Wunden der einen fuͤr Wunden der andern aus und umgekehrt — Was wir aus Menſchenliebe vorhaben, wuͤrden wir alle¬ mal erreichen, wenn wir keinen Eigennutz einmiſch¬ ten — Die Waͤrme eines Mannes wird von nichts leichter verkannt als von der Waͤrme eines Juͤng¬ lings. — — Dieſe letzte vielleicht relative Bemerkung ſagte er ſchon am Ufer der Inſel in der Stellung des Abſchieds. Aber ob er ihn gleich mit jener hoͤfli¬ chen Feinheit nahm, die in ſeinem Stande ſogar ei¬ nem Vater und Sohn die Haͤnde und Arme fuͤhrt: ſo druͤckte doch Viktor den kindlichen von lauter Seufzern und Gefuͤhlen ſchwangern Buſen an den vaͤterlichen mit einer Heftigkeit als wollt' er ſein einſames Herz zu den Thraͤnen entzweipreſſen, die er zeigen mußte — und als die Bruͤcke, die ihre Tage auseinander ſpaltete, aufgeſtiegen war, ging er allein

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/308>, abgerufen am 23.11.2024.