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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

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tischer Staat hat wie ein erfrorues Faß Wein, nicht
seinen (Freiheits) Geist verloren, sondern ihn nur
aus dem wässerigen Umkreis in einen Feuerpunkt
gedrängt: in einem solchen glücklichen Staate ist die
Freiheit blos unter die wenigern, die dazu reif
sind, unter den Sultan und seine Bassen vertheilt
und diese Göttin (die noch öfter als der Vogel Phö¬
nix abgebildet wird) hält sich für die Menge der
Anbeter desto besser durch den Werth und Eifer
derselben schadlos, da ihre wenigen Epopten -- die
Bassen -- ihren Einfluß in einem Maaß genießen,
dessen ein ganzes Volk nie habhaft wird. Die
Freiheit wird gleich den Erbschaftsmassen durch die
Menge der Erbnehmer kleiner; und ich bin über¬
zeugt, der wäre am meisten frei, der allein frei
wäre. Eine Demokratie und ein Oelgemälde sind
nur auf eine Leinwand ohne Knoten (Ungleichheit¬
ten) aufzutragen, aber eine Despotie ist erhobene
Arbeit -- oder noch sonderbarer: die despotische
Freiheit wohnt wie Kanarienvögel nur in hohen
Vogelbauern, die republikanische wie Emmerlinge
nur in langen. --

Ein Despot ist die praktische Vernunft eines
ganzen Landes; die Unterthanen sind eben so viele
dagegen kämpfende Triebe, die überwunden werden
müssen. Ihm gehört daher die gesetzgebende Gewalt
allein (die ausübende seinen Günstlingen:) -- schon

tiſcher Staat hat wie ein erfrorues Faß Wein, nicht
ſeinen (Freiheits) Geiſt verloren, ſondern ihn nur
aus dem waͤſſerigen Umkreis in einen Feuerpunkt
gedraͤngt: in einem ſolchen gluͤcklichen Staate iſt die
Freiheit blos unter die wenigern, die dazu reif
ſind, unter den Sultan und ſeine Baſſen vertheilt
und dieſe Goͤttin (die noch oͤfter als der Vogel Phoͤ¬
nix abgebildet wird) haͤlt ſich fuͤr die Menge der
Anbeter deſto beſſer durch den Werth und Eifer
derſelben ſchadlos, da ihre wenigen Epopten — die
Baſſen — ihren Einfluß in einem Maaß genießen,
deſſen ein ganzes Volk nie habhaft wird. Die
Freiheit wird gleich den Erbſchaftsmaſſen durch die
Menge der Erbnehmer kleiner; und ich bin uͤber¬
zeugt, der waͤre am meiſten frei, der allein frei
waͤre. Eine Demokratie und ein Oelgemaͤlde ſind
nur auf eine Leinwand ohne Knoten (Ungleichheit¬
ten) aufzutragen, aber eine Deſpotie iſt erhobene
Arbeit — oder noch ſonderbarer: die deſpotiſche
Freiheit wohnt wie Kanarienvoͤgel nur in hohen
Vogelbauern, die republikaniſche wie Emmerlinge
nur in langen. —

Ein Deſpot iſt die praktiſche Vernunft eines
ganzen Landes; die Unterthanen ſind eben ſo viele
dagegen kaͤmpfende Triebe, die uͤberwunden werden
muͤſſen. Ihm gehoͤrt daher die geſetzgebende Gewalt
allein (die ausuͤbende ſeinen Guͤnſtlingen:) — ſchon

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[255/0266] tiſcher Staat hat wie ein erfrorues Faß Wein, nicht ſeinen (Freiheits) Geiſt verloren, ſondern ihn nur aus dem waͤſſerigen Umkreis in einen Feuerpunkt gedraͤngt: in einem ſolchen gluͤcklichen Staate iſt die Freiheit blos unter die wenigern, die dazu reif ſind, unter den Sultan und ſeine Baſſen vertheilt und dieſe Goͤttin (die noch oͤfter als der Vogel Phoͤ¬ nix abgebildet wird) haͤlt ſich fuͤr die Menge der Anbeter deſto beſſer durch den Werth und Eifer derſelben ſchadlos, da ihre wenigen Epopten — die Baſſen — ihren Einfluß in einem Maaß genießen, deſſen ein ganzes Volk nie habhaft wird. Die Freiheit wird gleich den Erbſchaftsmaſſen durch die Menge der Erbnehmer kleiner; und ich bin uͤber¬ zeugt, der waͤre am meiſten frei, der allein frei waͤre. Eine Demokratie und ein Oelgemaͤlde ſind nur auf eine Leinwand ohne Knoten (Ungleichheit¬ ten) aufzutragen, aber eine Deſpotie iſt erhobene Arbeit — oder noch ſonderbarer: die deſpotiſche Freiheit wohnt wie Kanarienvoͤgel nur in hohen Vogelbauern, die republikaniſche wie Emmerlinge nur in langen. — Ein Deſpot iſt die praktiſche Vernunft eines ganzen Landes; die Unterthanen ſind eben ſo viele dagegen kaͤmpfende Triebe, die uͤberwunden werden muͤſſen. Ihm gehoͤrt daher die geſetzgebende Gewalt allein (die ausuͤbende ſeinen Guͤnſtlingen:) — ſchon

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/266>, abgerufen am 17.06.2024.