Blumenleben nicht -- schwelle herauf, taumelnder Zephyr und spüle mich in deine Blütenkelche hinab -- ach du unermeßlicher Stralenguß, falle aus der Sonne über die enge Erde und führ' auf deinen Glanzfluten das schwere Herz vor den unendlichen Thron, damit das ewige Herz die kleinen an Asche gränzenden nehme und heile und wärme!
Ist denn ein armer Sohn dieser Erde so unglück¬ lich, das er verzagen kann mitten im Glanze des Morgens, so nahe an Gott auf den heißen Stufen seines Throns?
Fliehe mich nicht, mein Theurer, weil immer ein Schatten mich umzingelt, der sich täglich ver¬ dunkelt bis er endlich als eine kleine Nacht mich einbauet. Ich sehe den Himmel und dich durch den Schatten: in der Mitternacht lächle ich und im Nachtwind geht mein Athem voll und warm. Denn, o Mensch, meine Seele hat sich aufgerichtet gegen die Sterne: der Mensch ist ein Engbrüstiger, der erstickt, wenn er liegt und seinen Busen nicht auf¬ hebt. -- Aber darfst du die Erde, diesen Vorhim¬ mel verachten, den der Ewige gewürdigt, unter dem lichten Heer seiner Welten mitzugehen? das Große, das Göttliche, das du in deiner Seele hast und in der fremden liebst, such' auf keinem Sonnenkrater, auf keinem Planetenboden -- die ganze zweite Welt, das ganze Elysium, Gott selbst erscheinen dir an kei¬
Blumenleben nicht — ſchwelle herauf, taumelnder Zephyr und ſpuͤle mich in deine Bluͤtenkelche hinab — ach du unermeßlicher Stralenguß, falle aus der Sonne uͤber die enge Erde und fuͤhr' auf deinen Glanzfluten das ſchwere Herz vor den unendlichen Thron, damit das ewige Herz die kleinen an Aſche graͤnzenden nehme und heile und waͤrme!
Iſt denn ein armer Sohn dieſer Erde ſo ungluͤck¬ lich, das er verzagen kann mitten im Glanze des Morgens, ſo nahe an Gott auf den heißen Stufen ſeines Throns?
Fliehe mich nicht, mein Theurer, weil immer ein Schatten mich umzingelt, der ſich taͤglich ver¬ dunkelt bis er endlich als eine kleine Nacht mich einbauet. Ich ſehe den Himmel und dich durch den Schatten: in der Mitternacht laͤchle ich und im Nachtwind geht mein Athem voll und warm. Denn, o Menſch, meine Seele hat ſich aufgerichtet gegen die Sterne: der Menſch iſt ein Engbruͤſtiger, der erſtickt, wenn er liegt und ſeinen Buſen nicht auf¬ hebt. — Aber darfſt du die Erde, dieſen Vorhim¬ mel verachten, den der Ewige gewuͤrdigt, unter dem lichten Heer ſeiner Welten mitzugehen? das Große, das Goͤttliche, das du in deiner Seele haſt und in der fremden liebſt, ſuch' auf keinem Sonnenkrater, auf keinem Planetenboden — die ganze zweite Welt, das ganze Elyſium, Gott ſelbſt erſcheinen dir an kei¬
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Blumenleben nicht — ſchwelle herauf, taumelnder
Zephyr und ſpuͤle mich in deine Bluͤtenkelche hinab
— ach du unermeßlicher Stralenguß, falle aus der
Sonne uͤber die enge Erde und fuͤhr' auf deinen
Glanzfluten das ſchwere Herz vor den unendlichen
Thron, damit das ewige Herz die kleinen an Aſche
graͤnzenden nehme und heile und waͤrme!
Iſt denn ein armer Sohn dieſer Erde ſo ungluͤck¬
lich, das er verzagen kann mitten im Glanze des
Morgens, ſo nahe an Gott auf den heißen Stufen
ſeines Throns?
Fliehe mich nicht, mein Theurer, weil immer
ein Schatten mich umzingelt, der ſich taͤglich ver¬
dunkelt bis er endlich als eine kleine Nacht mich
einbauet. Ich ſehe den Himmel und dich durch den
Schatten: in der Mitternacht laͤchle ich und im
Nachtwind geht mein Athem voll und warm. Denn,
o Menſch, meine Seele hat ſich aufgerichtet gegen
die Sterne: der Menſch iſt ein Engbruͤſtiger, der
erſtickt, wenn er liegt und ſeinen Buſen nicht auf¬
hebt. — Aber darfſt du die Erde, dieſen Vorhim¬
mel verachten, den der Ewige gewuͤrdigt, unter dem
lichten Heer ſeiner Welten mitzugehen? das Große,
das Goͤttliche, das du in deiner Seele haſt und in
der fremden liebſt, ſuch' auf keinem Sonnenkrater,
auf keinem Planetenboden — die ganze zweite Welt,
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/207>, abgerufen am 24.11.2024.
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