ihr noch glücklicher wäret als ich -- Am reinen ge¬ sunden stillen Herzen schließen sich wie an den ho¬ merischen Göttern leichte Wunden sogleich zu -- "Nein" (sagst du immerfort in der Sabbathswoche) "ich muß mich noch einige Tage so ruhig erhalten." -- Du verlangst zum Stoff der Freude fast nichts als Existenz, ja der Sonnenstich einer Entzückung wurde diesen kühlen magischen transparenten Mor¬ gen-Nebel in ein Gewitter verdichten -- Du siehst immerfort hinauf ins Blaue als möchtest du denken und weinen, und herum auf der Erde als wolltest du sagen: "wo ich heute wäre da wäre ich glück¬ "lich" und das Herz voll schlafender Stürme trägst du wie die Mutter das entschlummerte Kind, scheu und behutsam über die weichen Blumen der Freude -- -- Aber die Stürme fahren doch auf und greifen nach dem Herzen! . . .
Ach was müssen wir nicht alle schon verlohren haben, wenn uns die Gemälde seliger Tage nichts abgewinnen als Seufzer? O Ruhe, Ruhe, du Abend der Seele, du stiller Hesperus des müden Herzens, der allezeit neben der Sonne der Tugend bleibt -- wenn unser Inneres schon vor deinem sanften Na¬ men in Thränen zerrinnt: ach ist das nicht ein Zei¬ chen, daß wir dich suchen aber nicht haben? --
Viktor verdankte die Sieste seines Herzens den
Wissenschaften, besonders der Dichtkunst und
ihr noch gluͤcklicher waͤret als ich — Am reinen ge¬ ſunden ſtillen Herzen ſchließen ſich wie an den ho¬ meriſchen Goͤttern leichte Wunden ſogleich zu — »Nein« (ſagſt du immerfort in der Sabbathswoche) »ich muß mich noch einige Tage ſo ruhig erhalten.« — Du verlangſt zum Stoff der Freude faſt nichts als Exiſtenz, ja der Sonnenſtich einer Entzuͤckung wurde dieſen kuͤhlen magiſchen transparenten Mor¬ gen-Nebel in ein Gewitter verdichten — Du ſiehſt immerfort hinauf ins Blaue als moͤchteſt du denken und weinen, und herum auf der Erde als wollteſt du ſagen: »wo ich heute waͤre da waͤre ich gluͤck¬ »lich« und das Herz voll ſchlafender Stuͤrme traͤgſt du wie die Mutter das entſchlummerte Kind, ſcheu und behutſam uͤber die weichen Blumen der Freude — — Aber die Stuͤrme fahren doch auf und greifen nach dem Herzen! . . .
Ach was muͤſſen wir nicht alle ſchon verlohren haben, wenn uns die Gemaͤlde ſeliger Tage nichts abgewinnen als Seufzer? O Ruhe, Ruhe, du Abend der Seele, du ſtiller Heſperus des muͤden Herzens, der allezeit neben der Sonne der Tugend bleibt — wenn unſer Inneres ſchon vor deinem ſanften Na¬ men in Thraͤnen zerrinnt: ach iſt das nicht ein Zei¬ chen, daß wir dich ſuchen aber nicht haben? —
Viktor verdankte die Sieſte ſeines Herzens den
Wiſſenſchaften, beſonders der Dichtkunſt und
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ihr noch gluͤcklicher waͤret als ich — Am reinen ge¬
ſunden ſtillen Herzen ſchließen ſich wie an den ho¬
meriſchen Goͤttern leichte Wunden ſogleich zu —
»Nein« (ſagſt du immerfort in der Sabbathswoche)
»ich muß mich noch einige Tage ſo ruhig erhalten.«
— Du verlangſt zum Stoff der Freude faſt nichts
als Exiſtenz, ja der Sonnenſtich einer Entzuͤckung
wurde dieſen kuͤhlen magiſchen transparenten Mor¬
gen-Nebel in ein Gewitter verdichten — Du ſiehſt
immerfort hinauf ins Blaue als moͤchteſt du denken
und weinen, und herum auf der Erde als wollteſt
du ſagen: »wo ich heute waͤre da waͤre ich gluͤck¬
»lich« und das Herz voll ſchlafender Stuͤrme traͤgſt du
wie die Mutter das entſchlummerte Kind, ſcheu und
behutſam uͤber die weichen Blumen der Freude —
— Aber die Stuͤrme fahren doch auf und greifen
nach dem Herzen! . . .
Ach was muͤſſen wir nicht alle ſchon verlohren
haben, wenn uns die Gemaͤlde ſeliger Tage nichts
abgewinnen als Seufzer? O Ruhe, Ruhe, du Abend
der Seele, du ſtiller Heſperus des muͤden Herzens,
der allezeit neben der Sonne der Tugend bleibt —
wenn unſer Inneres ſchon vor deinem ſanften Na¬
men in Thraͤnen zerrinnt: ach iſt das nicht ein Zei¬
chen, daß wir dich ſuchen aber nicht haben? —
Viktor verdankte die Sieſte ſeines Herzens den
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/177>, abgerufen am 19.05.2024.
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