weit vom Grabe nieder auf die Erde und hoft hie¬ nieden nicht mehr.
Für Eymann must' es rührend seyn, daß er da er Jahrelang fremde Kindbetterinnen in der Kirche einsegnete, einmal einer näheren seine Wünsche ge¬ ben konnte. Viktor kroch in alle Knabensonntage und ihre Täuschungen dadurch zurück, daß er heute -- wie im zehnten Jahr -- unter dem Singen der gan¬ zen Gemeinde in die Sakristei zum Pfarrer ging und ihn fragte um die Pagina des Lieds. Es labte ihn als Kind, daß es vier gehende Wesen im Tempel gab, den Pfarrer, den Schulmeister, und den Ren¬ teimeister des Gotteskastens und ihn: giebt es etwas erhabeners, dacht' er, als einen Klingelbeutelvater mit einer langen wagrechten Balancierstange allein einherwandelnd, durch lauter befestigte Statuen?
Nach der Kirche fing sich das Fest an mit blo¬ ßen Vorarbeiten dazu, wie ein Friedenstraktat mit den Traktaten über den neutralen Ort, über den Rang u. s. w. Die Welt muß nur nicht denken, daß eher als um fünf Uhr Nachmittags etwas an¬ gehe oder daß jemand früher aus der prosaischen Wochen Einkleidung in die poetische festliche wischen oder sich ruhig neben einen Nachbar niederlassen könne -- sondern, nach der Prozeßordnung der Lust, muß jetzt alles hinauf, hinabrennen -- Appollonien, dieser Majorin domus, gehorchen -- die Bohnen¬
weit vom Grabe nieder auf die Erde und hoft hie¬ nieden nicht mehr.
Fuͤr Eymann muſt' es ruͤhrend ſeyn, daß er da er Jahrelang fremde Kindbetterinnen in der Kirche einſegnete, einmal einer naͤheren ſeine Wuͤnſche ge¬ ben konnte. Viktor kroch in alle Knabenſonntage und ihre Taͤuſchungen dadurch zuruͤck, daß er heute — wie im zehnten Jahr — unter dem Singen der gan¬ zen Gemeinde in die Sakriſtei zum Pfarrer ging und ihn fragte um die Pagina des Lieds. Es labte ihn als Kind, daß es vier gehende Weſen im Tempel gab, den Pfarrer, den Schulmeiſter, und den Ren¬ teimeiſter des Gotteskaſtens und ihn: giebt es etwas erhabeners, dacht' er, als einen Klingelbeutelvater mit einer langen wagrechten Balancierſtange allein einherwandelnd, durch lauter befeſtigte Statuen?
Nach der Kirche fing ſich das Feſt an mit blo¬ ßen Vorarbeiten dazu, wie ein Friedenstraktat mit den Traktaten uͤber den neutralen Ort, uͤber den Rang u. ſ. w. Die Welt muß nur nicht denken, daß eher als um fuͤnf Uhr Nachmittags etwas an¬ gehe oder daß jemand fruͤher aus der proſaiſchen Wochen Einkleidung in die poetiſche feſtliche wiſchen oder ſich ruhig neben einen Nachbar niederlaſſen koͤnne — ſondern, nach der Prozeßordnung der Luſt, muß jetzt alles hinauf, hinabrennen — Appollonien, dieſer Majorin domus, gehorchen — die Bohnen¬
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weit vom Grabe nieder auf die Erde und hoft hie¬
nieden nicht mehr.
Fuͤr Eymann muſt' es ruͤhrend ſeyn, daß er da
er Jahrelang fremde Kindbetterinnen in der Kirche
einſegnete, einmal einer naͤheren ſeine Wuͤnſche ge¬
ben konnte. Viktor kroch in alle Knabenſonntage und
ihre Taͤuſchungen dadurch zuruͤck, daß er heute —
wie im zehnten Jahr — unter dem Singen der gan¬
zen Gemeinde in die Sakriſtei zum Pfarrer ging und
ihn fragte um die Pagina des Lieds. Es labte ihn
als Kind, daß es vier gehende Weſen im Tempel
gab, den Pfarrer, den Schulmeiſter, und den Ren¬
teimeiſter des Gotteskaſtens und ihn: giebt es etwas
erhabeners, dacht' er, als einen Klingelbeutelvater
mit einer langen wagrechten Balancierſtange allein
einherwandelnd, durch lauter befeſtigte Statuen?
Nach der Kirche fing ſich das Feſt an mit blo¬
ßen Vorarbeiten dazu, wie ein Friedenstraktat mit
den Traktaten uͤber den neutralen Ort, uͤber den
Rang u. ſ. w. Die Welt muß nur nicht denken,
daß eher als um fuͤnf Uhr Nachmittags etwas an¬
gehe oder daß jemand fruͤher aus der proſaiſchen
Wochen Einkleidung in die poetiſche feſtliche wiſchen
oder ſich ruhig neben einen Nachbar niederlaſſen
koͤnne — ſondern, nach der Prozeßordnung der Luſt,
muß jetzt alles hinauf, hinabrennen — Appollonien,
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/135>, abgerufen am 19.05.2024.
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