Dahore in England, ach den er schon lange aus seinen Augen, aber nie aus seinen Träumen verloh¬ ren. Der Schatte dieses grossen Menschen stand gleichsam an die Nacht geworfen, flatternd und auf¬ gerichtet vor ihm und sagte: "Ach Lieber, ich sehe "Dein inneres Weinen, Dein frommes Sehnen, "Dein ödes Herz und Deine ausgebreiteten beben¬ "den Arme; aber alles ist umsonst: Du findest mich "nicht und ich Dich nicht." Er schauete an die Sterne, deren erhebende Kenntniß sein Lehrer schon damals in seine junge Seele angeleget hatte: er sag¬ te zu Klotilden: die Topographie des Himmels soll¬ te ein Stück unserer Religion seyn; eine Frau sollte den Katechismus und den Fontenelle auswendig ler¬ nen." Er beschrieb hier die astronomischen Stunden seines Dahore und diesen selber. --
Aus Klotildens Angesicht brach eine große Verklä¬ rung, und sie zeichnete mit Worten und Mienen ih¬ ren eignen astronomischen Lehrer im Stifte ab -- daß er eben so edel sey und eben so still -- daß sei¬ ne Gestalt so gut besser mache wie seine Lehre -- daß er sich Emanuel nenne und keinen Geschlechts¬ namen führe, weil er sage: "am verfliegenden Men¬ "schen an seinem so eilig versinkenden Stammbaum "sey zwischen dem Geschlechtsnamen und Taufnamen "der Unterschied so klein." -- Daß leider seine ver¬ edelte Seele in einem zerknickten Körper lebe, der
Dahore in England, ach den er ſchon lange aus ſeinen Augen, aber nie aus ſeinen Traͤumen verloh¬ ren. Der Schatte dieſes groſſen Menſchen ſtand gleichſam an die Nacht geworfen, flatternd und auf¬ gerichtet vor ihm und ſagte: »Ach Lieber, ich ſehe »Dein inneres Weinen, Dein frommes Sehnen, »Dein oͤdes Herz und Deine ausgebreiteten beben¬ »den Arme; aber alles iſt umſonſt: Du findeſt mich »nicht und ich Dich nicht.» Er ſchauete an die Sterne, deren erhebende Kenntniß ſein Lehrer ſchon damals in ſeine junge Seele angeleget hatte: er ſag¬ te zu Klotilden: die Topographie des Himmels ſoll¬ te ein Stuͤck unſerer Religion ſeyn; eine Frau ſollte den Katechismus und den Fontenelle auswendig ler¬ nen.» Er beſchrieb hier die aſtronomiſchen Stunden ſeines Dahore und dieſen ſelber. —
Aus Klotildens Angeſicht brach eine große Verklaͤ¬ rung, und ſie zeichnete mit Worten und Mienen ih¬ ren eignen aſtronomiſchen Lehrer im Stifte ab — daß er eben ſo edel ſey und eben ſo ſtill — daß ſei¬ ne Geſtalt ſo gut beſſer mache wie ſeine Lehre — daß er ſich Emanuel nenne und keinen Geſchlechts¬ namen fuͤhre, weil er ſage: »am verfliegenden Men¬ »ſchen an ſeinem ſo eilig verſinkenden Stammbaum »ſey zwiſchen dem Geſchlechtsnamen und Taufnamen »der Unterſchied ſo klein.» — Daß leider ſeine ver¬ edelte Seele in einem zerknickten Koͤrper lebe, der
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Dahore in England, ach den er ſchon lange aus
ſeinen Augen, aber nie aus ſeinen Traͤumen verloh¬
ren. Der Schatte dieſes groſſen Menſchen ſtand
gleichſam an die Nacht geworfen, flatternd und auf¬
gerichtet vor ihm und ſagte: »Ach Lieber, ich ſehe
»Dein inneres Weinen, Dein frommes Sehnen,
»Dein oͤdes Herz und Deine ausgebreiteten beben¬
»den Arme; aber alles iſt umſonſt: Du findeſt mich
»nicht und ich Dich nicht.» Er ſchauete an die
Sterne, deren erhebende Kenntniß ſein Lehrer ſchon
damals in ſeine junge Seele angeleget hatte: er ſag¬
te zu Klotilden: die Topographie des Himmels ſoll¬
te ein Stuͤck unſerer Religion ſeyn; eine Frau ſollte
den Katechismus und den Fontenelle auswendig ler¬
nen.» Er beſchrieb hier die aſtronomiſchen Stunden
ſeines Dahore und dieſen ſelber. —
Aus Klotildens Angeſicht brach eine große Verklaͤ¬
rung, und ſie zeichnete mit Worten und Mienen ih¬
ren eignen aſtronomiſchen Lehrer im Stifte ab —
daß er eben ſo edel ſey und eben ſo ſtill — daß ſei¬
ne Geſtalt ſo gut beſſer mache wie ſeine Lehre —
daß er ſich Emanuel nenne und keinen Geſchlechts¬
namen fuͤhre, weil er ſage: »am verfliegenden Men¬
»ſchen an ſeinem ſo eilig verſinkenden Stammbaum
»ſey zwiſchen dem Geſchlechtsnamen und Taufnamen
»der Unterſchied ſo klein.» — Daß leider ſeine ver¬
edelte Seele in einem zerknickten Koͤrper lebe, der
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/106>, abgerufen am 19.05.2024.
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