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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805.

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warmes Erröthen das ganze niederblickende Antliz
überfloß. Einmal sah er im Spiegel den Braut¬
schaz ihres Blicks ausgelegt, sie zog leise wieder
den Schleier darüber. Einmal da ihr offnes Au¬
ge darin wieder dem seinigen begegnete, lächelte
sie wie ein Kind; er drehte sich rechts nach dem
Urbild und ertappte noch das Lächeln. "Gieng
es Ihnen seit Rosenhof wohl, H. Harnisch?"
sagte sie leise. "Wie einem Seligen, versetzte er,
wie jetzt." Er wollte wohl etwas viel anderes fei¬
neres sagen; aber die Gegenwart unterschob sich
der Vergangenheit und testirte in deren Namen.
Doch gab er die Frage zurück. "Ich lebte, sag¬
te Wina, mit meiner Mutter, dieß ist genug;
Leipzig und seine Lustbarkeiten kennen Sie selber."
-- Diese kennt freilich ein darbender Musen- und
Schulzensohn wenig, der an den Rosen des kauf¬
männischen Rosenthals nicht höher aufklettert als
bis zu den Dornen, weil er jene nicht einmal so
oft theilt als ein Maurer-Meister einen fürstlichen
Saal, zu welchem dieser stets so lange Zutritt
hat, als er ihn mauert. Indeß denken sich die
höheren Stände nicht leichter hinab, zu Honora¬

warmes Erroͤthen das ganze niederblickende Antliz
uͤberfloß. Einmal ſah er im Spiegel den Braut¬
ſchaz ihres Blicks ausgelegt, ſie zog leiſe wieder
den Schleier daruͤber. Einmal da ihr offnes Au¬
ge darin wieder dem ſeinigen begegnete, laͤchelte
ſie wie ein Kind; er drehte ſich rechts nach dem
Urbild und ertappte noch das Laͤcheln. „Gieng
es Ihnen ſeit Roſenhof wohl, H. Harniſch?“
ſagte ſie leiſe. „Wie einem Seligen, verſetzte er,
wie jetzt.“ Er wollte wohl etwas viel anderes fei¬
neres ſagen; aber die Gegenwart unterſchob ſich
der Vergangenheit und teſtirte in deren Namen.
Doch gab er die Frage zuruͤck. „Ich lebte, ſag¬
te Wina, mit meiner Mutter, dieß iſt genug;
Leipzig und ſeine Luſtbarkeiten kennen Sie ſelber.“
— Dieſe kennt freilich ein darbender Muſen- und
Schulzenſohn wenig, der an den Roſen des kauf¬
maͤnniſchen Roſenthals nicht hoͤher aufklettert als
bis zu den Dornen, weil er jene nicht einmal ſo
oft theilt als ein Maurer-Meiſter einen fuͤrſtlichen
Saal, zu welchem dieſer ſtets ſo lange Zutritt
hat, als er ihn mauert. Indeß denken ſich die
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[206/0212] warmes Erroͤthen das ganze niederblickende Antliz uͤberfloß. Einmal ſah er im Spiegel den Braut¬ ſchaz ihres Blicks ausgelegt, ſie zog leiſe wieder den Schleier daruͤber. Einmal da ihr offnes Au¬ ge darin wieder dem ſeinigen begegnete, laͤchelte ſie wie ein Kind; er drehte ſich rechts nach dem Urbild und ertappte noch das Laͤcheln. „Gieng es Ihnen ſeit Roſenhof wohl, H. Harniſch?“ ſagte ſie leiſe. „Wie einem Seligen, verſetzte er, wie jetzt.“ Er wollte wohl etwas viel anderes fei¬ neres ſagen; aber die Gegenwart unterſchob ſich der Vergangenheit und teſtirte in deren Namen. Doch gab er die Frage zuruͤck. „Ich lebte, ſag¬ te Wina, mit meiner Mutter, dieß iſt genug; Leipzig und ſeine Luſtbarkeiten kennen Sie ſelber.“ — Dieſe kennt freilich ein darbender Muſen- und Schulzenſohn wenig, der an den Roſen des kauf¬ maͤnniſchen Roſenthals nicht hoͤher aufklettert als bis zu den Dornen, weil er jene nicht einmal ſo oft theilt als ein Maurer-Meiſter einen fuͤrſtlichen Saal, zu welchem dieſer ſtets ſo lange Zutritt hat, als er ihn mauert. Indeß denken ſich die hoͤheren Staͤnde nicht leichter hinab, zu Honora¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/212>, abgerufen am 04.05.2024.