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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805.

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Am Morgen darauf sprach Walt von seinen
schönen Aussichten auf die flötende Nachtigallen-
Dämmerung. Etwas mühsam wurde Vult zu
einer neuen Wiederschöpfung des melodischen Him¬
mels gebracht. Aber mit desto größerem Feuer
erzählte darauf der Notar, wie glücklich er die
dämmernde harmonische Hörzeit angewandt ha¬
be, nämlich zur Verfertigung einer Replik und
eines Streckverses im Roman; der Held sei, --
hab' er unter der Flöte gedichtet -- getadelt wor¬
den, daß er über das Wort einer alten, kranken,
dummen Frau, welche ihn für seine Gaben an
jedem Abend in ihr Gebet eifrig einzuschliessen
versprochen, sich innigst erfreuet, allein der Held
habe versetzt: nicht ihres Gebetes Wirkung auf
ihn wäre ihm etwas, sogar wenn diese gewiß wä¬
re, sondern die auf sie selber, daß ein so frieren¬
des Wesen doch jeden Abend in eine schöne Erhe¬
bung und Erwärmung gelange. "Ist das kein
wahrer Zug von mir, Vult?"

"Es ist ein wahrer von dir (sagte Vult).
In der Kunst wird, wie vor der Sonne, nur
das Heu warm, nicht die lebendigen Blumen."

Am Morgen darauf ſprach Walt von ſeinen
ſchoͤnen Ausſichten auf die floͤtende Nachtigallen-
Daͤmmerung. Etwas muͤhſam wurde Vult zu
einer neuen Wiederſchoͤpfung des melodiſchen Him¬
mels gebracht. Aber mit deſto groͤßerem Feuer
erzaͤhlte darauf der Notar, wie gluͤcklich er die
daͤmmernde harmoniſche Hoͤrzeit angewandt ha¬
be, naͤmlich zur Verfertigung einer Replik und
eines Streckverſes im Roman; der Held ſei, —
hab' er unter der Floͤte gedichtet — getadelt wor¬
den, daß er uͤber das Wort einer alten, kranken,
dummen Frau, welche ihn fuͤr ſeine Gaben an
jedem Abend in ihr Gebet eifrig einzuſchlieſſen
verſprochen, ſich innigſt erfreuet, allein der Held
habe verſetzt: nicht ihres Gebetes Wirkung auf
ihn waͤre ihm etwas, ſogar wenn dieſe gewiß waͤ¬
re, ſondern die auf ſie ſelber, daß ein ſo frieren¬
des Weſen doch jeden Abend in eine ſchoͤne Erhe¬
bung und Erwaͤrmung gelange. „Iſt das kein
wahrer Zug von mir, Vult?“

„Es iſt ein wahrer von dir (ſagte Vult).
In der Kunſt wird, wie vor der Sonne, nur
das Heu warm, nicht die lebendigen Blumen.“

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[155/0161] Am Morgen darauf ſprach Walt von ſeinen ſchoͤnen Ausſichten auf die floͤtende Nachtigallen- Daͤmmerung. Etwas muͤhſam wurde Vult zu einer neuen Wiederſchoͤpfung des melodiſchen Him¬ mels gebracht. Aber mit deſto groͤßerem Feuer erzaͤhlte darauf der Notar, wie gluͤcklich er die daͤmmernde harmoniſche Hoͤrzeit angewandt ha¬ be, naͤmlich zur Verfertigung einer Replik und eines Streckverſes im Roman; der Held ſei, — hab' er unter der Floͤte gedichtet — getadelt wor¬ den, daß er uͤber das Wort einer alten, kranken, dummen Frau, welche ihn fuͤr ſeine Gaben an jedem Abend in ihr Gebet eifrig einzuſchlieſſen verſprochen, ſich innigſt erfreuet, allein der Held habe verſetzt: nicht ihres Gebetes Wirkung auf ihn waͤre ihm etwas, ſogar wenn dieſe gewiß waͤ¬ re, ſondern die auf ſie ſelber, daß ein ſo frieren¬ des Weſen doch jeden Abend in eine ſchoͤne Erhe¬ bung und Erwaͤrmung gelange. „Iſt das kein wahrer Zug von mir, Vult?“ „Es iſt ein wahrer von dir (ſagte Vult). In der Kunſt wird, wie vor der Sonne, nur das Heu warm, nicht die lebendigen Blumen.“

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/161>, abgerufen am 23.11.2024.