Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805.

Bild:
<< vorherige Seite

vor Schaam und Zorn, sagte: o garstig über die
Massen, setzte unter dem Umherfahren nach dem
Hute hinzu: "in diesem Lichte steht ein armes
Mädchen bei dir? Und dein eigner Bruder dazu?"
lief fort -- sagte wild weinend: "gute Nacht;
aber bei Gott, ich weiß nicht, was ich dazu sa¬
gen soll" -- und ließ keiner Antwort Zeit. Vult
ärgerte sich fast über den unvermutheten Zorn.

"Ich, ich? -- wiederholte Walt auf der
Gasse innigst-verletzt -- ich hätte mich versün¬
digen sollen an einem Tage, wo mir Gott den
rührendsten Reise-Abend bescherte und die from¬
me Wina mir so nahe lebte? -- Das wolle Gott
nicht!" --

Als er aber in sein Stübchen trat: überflog
ihn eine ganz besondere Seligkeit und zehrte den
Schmerz auf: -- eine neue Empfindung wird an
einem alten Orte lebendiger; -- es war Wina's
guter Blick unter dem Wasserfalle, der jetzt ein
ganzes Leben wie ein Morgenlicht golden über¬
strahlte und alle Thaublumen darin blitzen ließ.
Vieles um ihn war ihm nunmehr zu eigen ge¬
worden so wie neu; der Park unten, in dessen

vor Schaam und Zorn, ſagte: o garſtig uͤber die
Maſſen, ſetzte unter dem Umherfahren nach dem
Hute hinzu: „in dieſem Lichte ſteht ein armes
Maͤdchen bei dir? Und dein eigner Bruder dazu?”
lief fort — ſagte wild weinend: „gute Nacht;
aber bei Gott, ich weiß nicht, was ich dazu ſa¬
gen ſoll“ — und ließ keiner Antwort Zeit. Vult
aͤrgerte ſich faſt uͤber den unvermutheten Zorn.

„Ich, ich? — wiederholte Walt auf der
Gaſſe innigſt-verletzt — ich haͤtte mich verſuͤn¬
digen ſollen an einem Tage, wo mir Gott den
ruͤhrendſten Reiſe-Abend beſcherte und die from¬
me Wina mir ſo nahe lebte? — Das wolle Gott
nicht!“ —

Als er aber in ſein Stuͤbchen trat: uͤberflog
ihn eine ganz beſondere Seligkeit und zehrte den
Schmerz auf: — eine neue Empfindung wird an
einem alten Orte lebendiger; — es war Wina's
guter Blick unter dem Waſſerfalle, der jetzt ein
ganzes Leben wie ein Morgenlicht golden uͤber¬
ſtrahlte und alle Thaublumen darin blitzen ließ.
Vieles um ihn war ihm nunmehr zu eigen ge¬
worden ſo wie neu; der Park unten, in deſſen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0015" n="9"/>
vor Schaam und Zorn, &#x017F;agte: o gar&#x017F;tig u&#x0364;ber die<lb/>
Ma&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;etzte unter dem Umherfahren nach dem<lb/>
Hute hinzu: &#x201E;in die&#x017F;em Lichte &#x017F;teht ein armes<lb/>
Ma&#x0364;dchen bei dir? Und dein eigner Bruder dazu?&#x201D;<lb/>
lief fort &#x2014; &#x017F;agte wild weinend: &#x201E;gute Nacht;<lb/>
aber bei Gott, ich weiß nicht, was ich dazu &#x017F;<lb/>
gen &#x017F;oll&#x201C; &#x2014; und ließ keiner Antwort Zeit. Vult<lb/>
a&#x0364;rgerte &#x017F;ich fa&#x017F;t u&#x0364;ber den unvermutheten Zorn.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich, ich? &#x2014; wiederholte Walt auf der<lb/>
Ga&#x017F;&#x017F;e innig&#x017F;t-verletzt &#x2014; ich ha&#x0364;tte mich ver&#x017F;u&#x0364;<lb/>
digen &#x017F;ollen an einem Tage, wo mir Gott den<lb/>
ru&#x0364;hrend&#x017F;ten Rei&#x017F;e-Abend be&#x017F;cherte und die from¬<lb/>
me Wina mir &#x017F;o nahe lebte? &#x2014; Das wolle Gott<lb/>
nicht!&#x201C; &#x2014;</p><lb/>
        <p>Als er aber in &#x017F;ein Stu&#x0364;bchen trat: u&#x0364;berflog<lb/>
ihn eine ganz be&#x017F;ondere Seligkeit und zehrte den<lb/>
Schmerz auf: &#x2014; eine neue Empfindung wird an<lb/>
einem alten Orte lebendiger; &#x2014; es war Wina's<lb/>
guter Blick unter dem Wa&#x017F;&#x017F;erfalle, der jetzt ein<lb/>
ganzes Leben wie ein Morgenlicht golden u&#x0364;ber¬<lb/>
&#x017F;trahlte und alle Thaublumen darin blitzen ließ.<lb/>
Vieles um ihn war ihm nunmehr zu eigen ge¬<lb/>
worden &#x017F;o wie neu; der Park unten, in de&#x017F;&#x017F;en<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[9/0015] vor Schaam und Zorn, ſagte: o garſtig uͤber die Maſſen, ſetzte unter dem Umherfahren nach dem Hute hinzu: „in dieſem Lichte ſteht ein armes Maͤdchen bei dir? Und dein eigner Bruder dazu?” lief fort — ſagte wild weinend: „gute Nacht; aber bei Gott, ich weiß nicht, was ich dazu ſa¬ gen ſoll“ — und ließ keiner Antwort Zeit. Vult aͤrgerte ſich faſt uͤber den unvermutheten Zorn. „Ich, ich? — wiederholte Walt auf der Gaſſe innigſt-verletzt — ich haͤtte mich verſuͤn¬ digen ſollen an einem Tage, wo mir Gott den ruͤhrendſten Reiſe-Abend beſcherte und die from¬ me Wina mir ſo nahe lebte? — Das wolle Gott nicht!“ — Als er aber in ſein Stuͤbchen trat: uͤberflog ihn eine ganz beſondere Seligkeit und zehrte den Schmerz auf: — eine neue Empfindung wird an einem alten Orte lebendiger; — es war Wina's guter Blick unter dem Waſſerfalle, der jetzt ein ganzes Leben wie ein Morgenlicht golden uͤber¬ ſtrahlte und alle Thaublumen darin blitzen ließ. Vieles um ihn war ihm nunmehr zu eigen ge¬ worden ſo wie neu; der Park unten, in deſſen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/15
Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/15>, abgerufen am 22.11.2024.