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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804.

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gallen schliessen uns ein -- die blühenden Abend¬
wolken gehen unter -- der lächelnde Abendstern
geht unter -- der Sternenhimmel zieht sein Sil¬
ber-Nez um uns -- wir haben die Sterne in
der Hand und in der Brust, und schweigen und
lieben. Da fängt eine ferne Flöte hinter dem
Himmelsberge an, und sagt alles laut, was
uns schmerzt und freuet: es ist mein guter Bru¬
der, sag' ich, und im Dorfe wohnen meine lie¬
ben Eltern." -- Hier kam Walt zu sich; er sah
umher, im Flusse (er stand vor einem) sank sein
Fürstenstuhl ein und ein Wind blies ihm die
leichte Krone ab. "Es wär' auch zuviel für ei¬
nen Menschentraum, Sie gar zu küssen" sagt' er
und gieng nach Hause. Unterwegs prüft' er die
Rechtmäßigkeit des Traums und hielt ihn so
Stück für Stück an den moralischen Probierstein,
daß er ihn auf die beste Weise zum zweitenmale
hatte. So hält sich die fromme Seele, welche
bange schwimmt, gern an jedem Zweige fest,
der auch schwimmt. So ist die erste Liebe, wie¬
wohl die unverständigste, doch die heiligste; ihre
Binde ist zwar dicker und breiter -- denn sie geht

gallen ſchlieſſen uns ein — die bluͤhenden Abend¬
wolken gehen unter — der laͤchelnde Abendſtern
geht unter — der Sternenhimmel zieht ſein Sil¬
ber-Nez um uns — wir haben die Sterne in
der Hand und in der Bruſt, und ſchweigen und
lieben. Da faͤngt eine ferne Floͤte hinter dem
Himmelsberge an, und ſagt alles laut, was
uns ſchmerzt und freuet: es iſt mein guter Bru¬
der, ſag' ich, und im Dorfe wohnen meine lie¬
ben Eltern.“ — Hier kam Walt zu ſich; er ſah
umher, im Fluſſe (er ſtand vor einem) ſank ſein
Fuͤrſtenſtuhl ein und ein Wind blies ihm die
leichte Krone ab. „Es waͤr' auch zuviel fuͤr ei¬
nen Menſchentraum, Sie gar zu kuͤſſen“ ſagt' er
und gieng nach Hauſe. Unterwegs pruͤft' er die
Rechtmaͤßigkeit des Traums und hielt ihn ſo
Stuͤck fuͤr Stuͤck an den moraliſchen Probierſtein,
daß er ihn auf die beſte Weiſe zum zweitenmale
hatte. So haͤlt ſich die fromme Seele, welche
bange ſchwimmt, gern an jedem Zweige feſt,
der auch ſchwimmt. So iſt die erſte Liebe, wie¬
wohl die unverſtaͤndigſte, doch die heiligſte; ihre
Binde iſt zwar dicker und breiter — denn ſie geht

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[40/0048] gallen ſchlieſſen uns ein — die bluͤhenden Abend¬ wolken gehen unter — der laͤchelnde Abendſtern geht unter — der Sternenhimmel zieht ſein Sil¬ ber-Nez um uns — wir haben die Sterne in der Hand und in der Bruſt, und ſchweigen und lieben. Da faͤngt eine ferne Floͤte hinter dem Himmelsberge an, und ſagt alles laut, was uns ſchmerzt und freuet: es iſt mein guter Bru¬ der, ſag' ich, und im Dorfe wohnen meine lie¬ ben Eltern.“ — Hier kam Walt zu ſich; er ſah umher, im Fluſſe (er ſtand vor einem) ſank ſein Fuͤrſtenſtuhl ein und ein Wind blies ihm die leichte Krone ab. „Es waͤr' auch zuviel fuͤr ei¬ nen Menſchentraum, Sie gar zu kuͤſſen“ ſagt' er und gieng nach Hauſe. Unterwegs pruͤft' er die Rechtmaͤßigkeit des Traums und hielt ihn ſo Stuͤck fuͤr Stuͤck an den moraliſchen Probierſtein, daß er ihn auf die beſte Weiſe zum zweitenmale hatte. So haͤlt ſich die fromme Seele, welche bange ſchwimmt, gern an jedem Zweige feſt, der auch ſchwimmt. So iſt die erſte Liebe, wie¬ wohl die unverſtaͤndigſte, doch die heiligſte; ihre Binde iſt zwar dicker und breiter — denn ſie geht

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/48>, abgerufen am 26.04.2024.