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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804.

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sen --: "er sei so glüklich gewesen, ein schönes
Band der Liebe zu finden, eine Senne an Amors
Bogen, gleichsam den grössern Ring an schöner
Hand und er wisse nicht, wer glüklicher sei, der
so ihn abzöge oder der ihn anlegte." Raphaela er¬
röthete beschämend-verschämt, nahm das Band,
steckt' es schnell ein und gieng stumm fort; Walt
dachte: fast ein gar zu zartes Gemüth!

Er brachte noch viel von seiner Morgenfreude
an die Wirthstafel: als er zu seinem Erstaunen
da erfuhr -- was er schon längst gewußt --,
daß an der Juden-Vigilie, am Freitag, die Ka¬
tholiken fasteten. Er legte Messer und Gabel ne¬
ben den Teller hin. Keinen Bissen -- und wär'
er aus dem Reichs-Ochsen in Frankfurt bei der
Kaiserkrönung ausgeschnitten gewesen -- hätt' er
noch an die Zunge heben können. "Ich will nicht
köstlich schwelgen, dachte er -- betagtes Vaccine¬
fleisch war aufgesezt --, in der Stunde, wo eine
so wohlwollende Seele wie Wina darben muß."
-- Wie eine Ehefrau, hatte er bei der Gleichgül¬
tigkeit gegen eigene Eß-Entbehrungen ein weinen¬
des Erbarmen über fremde. Er dachte nach und

ſen —: „er ſei ſo gluͤklich geweſen, ein ſchoͤnes
Band der Liebe zu finden, eine Senne an Amors
Bogen, gleichſam den groͤſſern Ring an ſchoͤner
Hand und er wiſſe nicht, wer gluͤklicher ſei, der
ſo ihn abzoͤge oder der ihn anlegte.“ Raphaela er¬
roͤthete beſchaͤmend-verſchaͤmt, nahm das Band,
ſteckt' es ſchnell ein und gieng ſtumm fort; Walt
dachte: faſt ein gar zu zartes Gemuͤth!

Er brachte noch viel von ſeiner Morgenfreude
an die Wirthstafel: als er zu ſeinem Erſtaunen
da erfuhr — was er ſchon laͤngſt gewußt —,
daß an der Juden-Vigilie, am Freitag, die Ka¬
tholiken faſteten. Er legte Meſſer und Gabel ne¬
ben den Teller hin. Keinen Biſſen — und waͤr'
er aus dem Reichs-Ochſen in Frankfurt bei der
Kaiſerkroͤnung ausgeſchnitten geweſen — haͤtt' er
noch an die Zunge heben koͤnnen. „Ich will nicht
koͤſtlich ſchwelgen, dachte er — betagtes Vaccine¬
fleiſch war aufgeſezt —, in der Stunde, wo eine
ſo wohlwollende Seele wie Wina darben muß.“
— Wie eine Ehefrau, hatte er bei der Gleichguͤl¬
tigkeit gegen eigene Eß-Entbehrungen ein weinen¬
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[23/0033] ſen —: „er ſei ſo gluͤklich geweſen, ein ſchoͤnes Band der Liebe zu finden, eine Senne an Amors Bogen, gleichſam den groͤſſern Ring an ſchoͤner Hand und er wiſſe nicht, wer gluͤklicher ſei, der ſo ihn abzoͤge oder der ihn anlegte.“ Raphaela er¬ roͤthete beſchaͤmend-verſchaͤmt, nahm das Band, ſteckt' es ſchnell ein und gieng ſtumm fort; Walt dachte: faſt ein gar zu zartes Gemuͤth! Er brachte noch viel von ſeiner Morgenfreude an die Wirthstafel: als er zu ſeinem Erſtaunen da erfuhr — was er ſchon laͤngſt gewußt —, daß an der Juden-Vigilie, am Freitag, die Ka¬ tholiken faſteten. Er legte Meſſer und Gabel ne¬ ben den Teller hin. Keinen Biſſen — und waͤr' er aus dem Reichs-Ochſen in Frankfurt bei der Kaiſerkroͤnung ausgeſchnitten geweſen — haͤtt' er noch an die Zunge heben koͤnnen. „Ich will nicht koͤſtlich ſchwelgen, dachte er — betagtes Vaccine¬ fleiſch war aufgeſezt —, in der Stunde, wo eine ſo wohlwollende Seele wie Wina darben muß.“ — Wie eine Ehefrau, hatte er bei der Gleichguͤl¬ tigkeit gegen eigene Eß-Entbehrungen ein weinen¬ des Erbarmen uͤber fremde. Er dachte nach und

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/33>, abgerufen am 28.03.2024.