Wasserwerke sind noch früher angelegt als die Berg¬ werke, welche davon auszutroknen sind -- wie in Schmelz-Hütten, ist in die Seelenschmelz- Hütten, in die Romane, einen Tropfen Wasser zu bringen streng verboten, weil ein Tropfe das Gluth- und Flus-Kupfer zertrümmernd auftreibt -- der Mensch fängt überhaupt an, und zwar bei den Thränen (nach Hirschen und Krokodillen zu schliessen), das Thierische abzulegen, und das Menschliche anzunehmen, wo man bei den La¬ chen anfängt, so daß jezt eine poetische Zaube¬ rin, wie sonst eine prosaische Hexe, daran eben erkannt wird, daß sie nicht weinen kann.
Kurz, Rührung wird gegenwärtig nicht ver¬ stattet -- leichter eine Rückenmarksdürre als eine Augenwassersucht; -- und wir Autoren gestehen es uns manchmal unter einander heimlich in Brie¬ fen, wie erbärmlich wir uns oft wenden und winden, damit wir bei Rühr-Anlässen (wir müssen selber darüber lachen) keinen Tropfen fahren lassen.
Ich schliesse diese Zeilen ungern; aber der Oh¬ nehosen Sehuster steht hinter dem Kopisten, Hal¬ ter, schon gestiefelt und wartet auf die Kopie der¬
Flegeljahre III. Bd. 15
Waſſerwerke ſind noch fruͤher angelegt als die Berg¬ werke, welche davon auszutroknen ſind — wie in Schmelz-Huͤtten, iſt in die Seelenſchmelz- Huͤtten, in die Romane, einen Tropfen Waſſer zu bringen ſtreng verboten, weil ein Tropfe das Gluth- und Flus-Kupfer zertruͤmmernd auftreibt — der Menſch faͤngt uͤberhaupt an, und zwar bei den Thraͤnen (nach Hirſchen und Krokodillen zu ſchlieſſen), das Thieriſche abzulegen, und das Menſchliche anzunehmen, wo man bei den La¬ chen anfaͤngt, ſo daß jezt eine poetiſche Zaube¬ rin, wie ſonſt eine proſaiſche Hexe, daran eben erkannt wird, daß ſie nicht weinen kann.
Kurz, Ruͤhrung wird gegenwaͤrtig nicht ver¬ ſtattet — leichter eine Ruͤckenmarksduͤrre als eine Augenwaſſerſucht; — und wir Autoren geſtehen es uns manchmal unter einander heimlich in Brie¬ fen, wie erbaͤrmlich wir uns oft wenden und winden, damit wir bei Ruͤhr-Anlaͤſſen (wir muͤſſen ſelber daruͤber lachen) keinen Tropfen fahren laſſen.
Ich ſchlieſſe dieſe Zeilen ungern; aber der Oh¬ nehoſen Sehuſter ſteht hinter dem Kopiſten, Hal¬ ter, ſchon geſtiefelt und wartet auf die Kopie der¬
Flegeljahre III. Bd. 15
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Waſſerwerke ſind noch fruͤher angelegt als die Berg¬
werke, welche davon auszutroknen ſind — wie
in Schmelz-Huͤtten, iſt in die Seelenſchmelz-
Huͤtten, in die Romane, einen Tropfen Waſſer
zu bringen ſtreng verboten, weil ein Tropfe das
Gluth- und Flus-Kupfer zertruͤmmernd auftreibt
— der Menſch faͤngt uͤberhaupt an, und zwar
bei den Thraͤnen (nach Hirſchen und Krokodillen
zu ſchlieſſen), das Thieriſche abzulegen, und das
Menſchliche anzunehmen, wo man bei den La¬
chen anfaͤngt, ſo daß jezt eine poetiſche Zaube¬
rin, wie ſonſt eine proſaiſche Hexe, daran eben
erkannt wird, daß ſie nicht weinen kann.
Kurz, Ruͤhrung wird gegenwaͤrtig nicht ver¬
ſtattet — leichter eine Ruͤckenmarksduͤrre als eine
Augenwaſſerſucht; — und wir Autoren geſtehen
es uns manchmal unter einander heimlich in Brie¬
fen, wie erbaͤrmlich wir uns oft wenden und winden,
damit wir bei Ruͤhr-Anlaͤſſen (wir muͤſſen ſelber
daruͤber lachen) keinen Tropfen fahren laſſen.
Ich ſchlieſſe dieſe Zeilen ungern; aber der Oh¬
nehoſen Sehuſter ſteht hinter dem Kopiſten, Hal¬
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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/233>, abgerufen am 31.07.2024.
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