Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

nichts im seeligen Kopf und Herzen, als den
morgendlichen Kirmes-Tanz um den Baum mit
den allerbedeutendsten Purschen des Orts.

Darauf begegnete der Notar einem schwer
ausgeschmükten eilfjährigen Mädgen mit einer
Krücke -- was ihn unsäglich erbarmte -- und
die Frau Pathin lief aus dem Oertgen ihrem Kir¬
mesgast schon entgegen.

Darauf kam ein an sich selber angeketteter
Malefikant zwischen seinen Kerker-Führern; alle
priesen, so weit sie mit Worten noch vermochten,
das Bier des vorigen Dorfs; auch der Male¬
fikant.

Er kam durch das ansehnlichere Dorf, wor¬
in das Filial nur eingepfarrt war. Da die Mut¬
terkirchen-Thüre gerade offen stand -- aus dem
kurzen dicken Thurme wurde etwas geblasen,
worein wieder der Viehhirt blies -- so gieng er
ein wenig hinein; denn unter allen öffentlichen
Gebäuden besucht' er Kirchen am liebsten, als
Eispalläste, an deren leere Wände das Altarlicht
seiner frommen Phantasie sich mit Glanz und ir¬
renden Farben am schönsten brach und umher

nichts im ſeeligen Kopf und Herzen, als den
morgendlichen Kirmes-Tanz um den Baum mit
den allerbedeutendſten Purſchen des Orts.

Darauf begegnete der Notar einem ſchwer
ausgeſchmuͤkten eilfjaͤhrigen Maͤdgen mit einer
Kruͤcke — was ihn unſaͤglich erbarmte — und
die Frau Pathin lief aus dem Oertgen ihrem Kir¬
mesgaſt ſchon entgegen.

Darauf kam ein an ſich ſelber angeketteter
Malefikant zwiſchen ſeinen Kerker-Fuͤhrern; alle
prieſen, ſo weit ſie mit Worten noch vermochten,
das Bier des vorigen Dorfs; auch der Male¬
fikant.

Er kam durch das anſehnlichere Dorf, wor¬
in das Filial nur eingepfarrt war. Da die Mut¬
terkirchen-Thuͤre gerade offen ſtand — aus dem
kurzen dicken Thurme wurde etwas geblaſen,
worein wieder der Viehhirt blies — ſo gieng er
ein wenig hinein; denn unter allen oͤffentlichen
Gebaͤuden beſucht' er Kirchen am liebſten, als
Eispallaͤſte, an deren leere Waͤnde das Altarlicht
ſeiner frommen Phantaſie ſich mit Glanz und ir¬
renden Farben am ſchoͤnſten brach und umher

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0118" n="110"/>
nichts im &#x017F;eeligen Kopf und Herzen, als den<lb/>
morgendlichen Kirmes-Tanz um den Baum mit<lb/>
den allerbedeutend&#x017F;ten Pur&#x017F;chen des Orts.</p><lb/>
        <p>Darauf begegnete der Notar einem &#x017F;chwer<lb/>
ausge&#x017F;chmu&#x0364;kten eilfja&#x0364;hrigen Ma&#x0364;dgen mit einer<lb/>
Kru&#x0364;cke &#x2014; was ihn un&#x017F;a&#x0364;glich erbarmte &#x2014; und<lb/>
die Frau Pathin lief aus dem Oertgen ihrem Kir¬<lb/>
mesga&#x017F;t &#x017F;chon entgegen.</p><lb/>
        <p>Darauf kam ein an &#x017F;ich &#x017F;elber angeketteter<lb/>
Malefikant zwi&#x017F;chen &#x017F;einen Kerker-Fu&#x0364;hrern; alle<lb/>
prie&#x017F;en, &#x017F;o weit &#x017F;ie mit Worten noch vermochten,<lb/>
das Bier des vorigen Dorfs; auch der Male¬<lb/>
fikant.</p><lb/>
        <p>Er kam durch das an&#x017F;ehnlichere Dorf, wor¬<lb/>
in das Filial nur eingepfarrt war. Da die Mut¬<lb/>
terkirchen-Thu&#x0364;re gerade offen &#x017F;tand &#x2014; aus dem<lb/>
kurzen dicken Thurme wurde etwas gebla&#x017F;en,<lb/>
worein wieder der Viehhirt blies &#x2014; &#x017F;o gieng er<lb/>
ein wenig hinein; denn unter allen o&#x0364;ffentlichen<lb/>
Geba&#x0364;uden be&#x017F;ucht' er Kirchen am lieb&#x017F;ten, als<lb/>
Eispalla&#x0364;&#x017F;te, an deren leere Wa&#x0364;nde das Altarlicht<lb/>
&#x017F;einer frommen Phanta&#x017F;ie &#x017F;ich mit Glanz und ir¬<lb/>
renden Farben am &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten brach und umher<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[110/0118] nichts im ſeeligen Kopf und Herzen, als den morgendlichen Kirmes-Tanz um den Baum mit den allerbedeutendſten Purſchen des Orts. Darauf begegnete der Notar einem ſchwer ausgeſchmuͤkten eilfjaͤhrigen Maͤdgen mit einer Kruͤcke — was ihn unſaͤglich erbarmte — und die Frau Pathin lief aus dem Oertgen ihrem Kir¬ mesgaſt ſchon entgegen. Darauf kam ein an ſich ſelber angeketteter Malefikant zwiſchen ſeinen Kerker-Fuͤhrern; alle prieſen, ſo weit ſie mit Worten noch vermochten, das Bier des vorigen Dorfs; auch der Male¬ fikant. Er kam durch das anſehnlichere Dorf, wor¬ in das Filial nur eingepfarrt war. Da die Mut¬ terkirchen-Thuͤre gerade offen ſtand — aus dem kurzen dicken Thurme wurde etwas geblaſen, worein wieder der Viehhirt blies — ſo gieng er ein wenig hinein; denn unter allen oͤffentlichen Gebaͤuden beſucht' er Kirchen am liebſten, als Eispallaͤſte, an deren leere Waͤnde das Altarlicht ſeiner frommen Phantaſie ſich mit Glanz und ir¬ renden Farben am ſchoͤnſten brach und umher

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/118
Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/118>, abgerufen am 23.11.2024.