Menschen nicht viel, so bin ich stiller als einer dazu; nur mach' er sich auch nicht mehr aus sich, und im Streit-Fall seines und fremden Glüks, wähl' er großmüthig. Hingegen ein ächter, recht frecher Selbstsüchtling, der ganz un¬ verschämt gerade die Liebe begehrt, die er ver¬ weigert, der die Welt in einer Kochenille-Mühle mahlen könnte, um sich Weste und Wangen roth zu färben, der sich für das Herz der Allheit an¬ sieht, deren Geäder ihm Blut zu- und abführt, und der den Schöpfer und Teufel und Engel und die gewesenen Jahrtausende blos für die Schaffner und stummen Knechte, die Weltkugeln für die Dienerhäuser eines einzigen erbärmlichen Ichs nimmt: -- Walt, es ist bekannt, einen solchen könnt' ich gelassen und ohne Vorreden todt schla¬ gen und verscharren. Die Leidenschaften sind doch wenigstens keke, grosmüthige, obwohl zerreissende Löwen; der Egoismus aber ist eine stille sich ein¬ beissende fortsaugende Wanze. Der Mensch hat 2 Herzkammern, in der einen sein Ich; in der andern das fremde, die er aber lieber leer stehen lasse, als falsch beseze. Der Egoist hat, wie Wür¬
Menſchen nicht viel, ſo bin ich ſtiller als einer dazu; nur mach' er ſich auch nicht mehr aus ſich, und im Streit-Fall ſeines und fremden Gluͤks, waͤhl' er großmuͤthig. Hingegen ein aͤchter, recht frecher Selbſtſuͤchtling, der ganz un¬ verſchaͤmt gerade die Liebe begehrt, die er ver¬ weigert, der die Welt in einer Kochenille-Muͤhle mahlen koͤnnte, um ſich Weſte und Wangen roth zu faͤrben, der ſich fuͤr das Herz der Allheit an¬ ſieht, deren Geaͤder ihm Blut zu- und abfuͤhrt, und der den Schoͤpfer und Teufel und Engel und die geweſenen Jahrtauſende blos fuͤr die Schaffner und ſtummen Knechte, die Weltkugeln fuͤr die Dienerhaͤuſer eines einzigen erbaͤrmlichen Ichs nimmt: — Walt, es iſt bekannt, einen ſolchen koͤnnt' ich gelaſſen und ohne Vorreden todt ſchla¬ gen und verſcharren. Die Leidenſchaften ſind doch wenigſtens keke, grosmuͤthige, obwohl zerreiſſende Loͤwen; der Egoiſmus aber iſt eine ſtille ſich ein¬ beiſſende fortſaugende Wanze. Der Menſch hat 2 Herzkammern, in der einen ſein Ich; in der andern das fremde, die er aber lieber leer ſtehen laſſe, als falſch beſeze. Der Egoiſt hat, wie Wuͤr¬
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Menſchen nicht viel, ſo bin ich ſtiller als einer
dazu; nur mach' er ſich auch nicht mehr aus
ſich, und im Streit-Fall ſeines und fremden
Gluͤks, waͤhl' er großmuͤthig. Hingegen ein
aͤchter, recht frecher Selbſtſuͤchtling, der ganz un¬
verſchaͤmt gerade die Liebe begehrt, die er ver¬
weigert, der die Welt in einer Kochenille-Muͤhle
mahlen koͤnnte, um ſich Weſte und Wangen roth
zu faͤrben, der ſich fuͤr das Herz der Allheit an¬
ſieht, deren Geaͤder ihm Blut zu- und abfuͤhrt,
und der den Schoͤpfer und Teufel und Engel und
die geweſenen Jahrtauſende blos fuͤr die Schaffner
und ſtummen Knechte, die Weltkugeln fuͤr die
Dienerhaͤuſer eines einzigen erbaͤrmlichen Ichs
nimmt: — Walt, es iſt bekannt, einen ſolchen
koͤnnt' ich gelaſſen und ohne Vorreden todt ſchla¬
gen und verſcharren. Die Leidenſchaften ſind doch
wenigſtens keke, grosmuͤthige, obwohl zerreiſſende
Loͤwen; der Egoiſmus aber iſt eine ſtille ſich ein¬
beiſſende fortſaugende Wanze. Der Menſch hat
2 Herzkammern, in der einen ſein Ich; in der
andern das fremde, die er aber lieber leer ſtehen
laſſe, als falſch beſeze. Der Egoiſt hat, wie Wuͤr¬
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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 2. Tübingen, 1804, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre02_1804/22>, abgerufen am 31.07.2024.
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