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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804.

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Auf einmal fuhr Gottwalt in einem Schanz¬
looper herein, verbeugte sich ekig und eilig vor
dem Fiskal und stand stumm da, und helle Freu¬
denThränen liefen aus den blauen Augen über
sein glühendes Gesicht.

"Was ist Dir?" fragte die Mutter. O
meine liebe Mutter, (sagt' er sanft,) gar nichts.
Ich kan mich gleich examiniren lassen.

-- "Und dazu heulst du?" fragte Lukas.
Jezt stieg sein Auge und sein Ton: "Vater, ich
habe, sagte er, heute einen großen Mann gese¬
hen." -- "So? versezte Lukas kühn -- Und hast
dich vom großen Kerl wamsen lassen und zudeken?
Gut!"

Ach Gott, rief er; und wandte sich an die
aufmerksame Goldine, um es so dem Examinator
mit zu erzählen. Er hatte nämlich oben im Fich¬
tenwäldgen eine haltende Kutsche gefunden, und
unweit davon am Waldhügel einen bejahrten
Mann mit kranken Augen, der die schöne Gegend
im Sonnenuntergange ansah. Gottwalt erkannte
leicht zwischen dem Manne und dem Kupferstiche
eines großen deutschen Schriftstellers -- dessen

Auf einmal fuhr Gottwalt in einem Schanz¬
looper herein, verbeugte ſich ekig und eilig vor
dem Fiſkal und ſtand ſtumm da, und helle Freu¬
denThraͤnen liefen aus den blauen Augen uͤber
ſein gluͤhendes Geſicht.

„Was iſt Dir?“ fragte die Mutter. O
meine liebe Mutter, (ſagt' er ſanft,) gar nichts.
Ich kan mich gleich examiniren laſſen.

— „Und dazu heulſt du?“ fragte Lukas.
Jezt ſtieg ſein Auge und ſein Ton: „Vater, ich
habe, ſagte er, heute einen großen Mann geſe¬
hen.“ — „So? verſezte Lukas kuͤhn — Und haſt
dich vom großen Kerl wamſen laſſen und zudeken?
Gut!“

Ach Gott, rief er; und wandte ſich an die
aufmerkſame Goldine, um es ſo dem Examinator
mit zu erzaͤhlen. Er hatte naͤmlich oben im Fich¬
tenwaͤldgen eine haltende Kutſche gefunden, und
unweit davon am Waldhuͤgel einen bejahrten
Mann mit kranken Augen, der die ſchoͤne Gegend
im Sonnenuntergange anſah. Gottwalt erkannte
leicht zwiſchen dem Manne und dem Kupferſtiche
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[86/0096] Auf einmal fuhr Gottwalt in einem Schanz¬ looper herein, verbeugte ſich ekig und eilig vor dem Fiſkal und ſtand ſtumm da, und helle Freu¬ denThraͤnen liefen aus den blauen Augen uͤber ſein gluͤhendes Geſicht. „Was iſt Dir?“ fragte die Mutter. O meine liebe Mutter, (ſagt' er ſanft,) gar nichts. Ich kan mich gleich examiniren laſſen. — „Und dazu heulſt du?“ fragte Lukas. Jezt ſtieg ſein Auge und ſein Ton: „Vater, ich habe, ſagte er, heute einen großen Mann geſe¬ hen.“ — „So? verſezte Lukas kuͤhn — Und haſt dich vom großen Kerl wamſen laſſen und zudeken? Gut!“ Ach Gott, rief er; und wandte ſich an die aufmerkſame Goldine, um es ſo dem Examinator mit zu erzaͤhlen. Er hatte naͤmlich oben im Fich¬ tenwaͤldgen eine haltende Kutſche gefunden, und unweit davon am Waldhuͤgel einen bejahrten Mann mit kranken Augen, der die ſchoͤne Gegend im Sonnenuntergange anſah. Gottwalt erkannte leicht zwiſchen dem Manne und dem Kupferſtiche eines großen deutſchen Schriftſtellers — deſſen

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre01_1804/96>, abgerufen am 24.11.2024.