er das ThemisSchwert ausgeschliffen, an zwan¬ zigtausend Mann niedergehauen? So schikt ihn doch, fuhr man fort, nur VersuchsWeise mit ei¬ nem Gerichtssiegel zu einer blassen Wittwe, die mit gefalteten Händen auf dem Sessel sizt und die schwach und leise ihre Effekten anzeigt, und las¬ set ihn den Auftrag, unbehindert alle ihre alten Thüren und Schränke und des Mannes lezte An¬ denken gerichtlich zu verpetschieren, vollziehen und seht zu, ob ers kann, vor Herzklopfen und Mit¬ leiden! --
Aber der jüngere Zwilling, Vult, sagte man in froherem Tone, der schwarzhaarige, pocken¬ narbige, stämmige Spizbube, der sich mit dem hal¬ ben Dorfe rauft und immer umher streift, und ein wahres tragbares theatre aux Italiens ist, das jede Physiognomie und Stimme nachspielt -- dieser ist ein anderer Mensch, dem gebt Akten un¬ ter den Arm, oder einen Schöppenstuhl unter den Steis. Wenn Walt am Fastnachtstage in der tanzenden Schulstube den Kandidaten und dessen Geige mit dem Bäßlein unterstüzte und mit nichts hüpfte als mit ungemein freudigen Blicken und
er das ThemisSchwert ausgeſchliffen, an zwan¬ zigtauſend Mann niedergehauen? So ſchikt ihn doch, fuhr man fort, nur VerſuchsWeiſe mit ei¬ nem Gerichtsſiegel zu einer blaſſen Wittwe, die mit gefalteten Haͤnden auf dem Seſſel ſizt und die ſchwach und leiſe ihre Effekten anzeigt, und laſ¬ ſet ihn den Auftrag, unbehindert alle ihre alten Thuͤren und Schraͤnke und des Mannes lezte An¬ denken gerichtlich zu verpetſchieren, vollziehen und ſeht zu, ob ers kann, vor Herzklopfen und Mit¬ leiden! —
Aber der juͤngere Zwilling, Vult, ſagte man in froherem Tone, der ſchwarzhaarige, pocken¬ narbige, ſtaͤmmige Spizbube, der ſich mit dem hal¬ ben Dorfe rauft und immer umher ſtreift, und ein wahres tragbares theatre aux Italiens iſt, das jede Phyſiognomie und Stimme nachſpielt — dieſer iſt ein anderer Menſch, dem gebt Akten un¬ ter den Arm, oder einen Schoͤppenſtuhl unter den Steis. Wenn Walt am Faſtnachtstage in der tanzenden Schulſtube den Kandidaten und deſſen Geige mit dem Baͤßlein unterſtuͤzte und mit nichts huͤpfte als mit ungemein freudigen Blicken und
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0071"n="61"/>
er das ThemisSchwert ausgeſchliffen, an zwan¬<lb/>
zigtauſend Mann niedergehauen? So ſchikt ihn<lb/>
doch, fuhr man fort, nur VerſuchsWeiſe mit ei¬<lb/>
nem Gerichtsſiegel zu einer blaſſen Wittwe, die<lb/>
mit gefalteten Haͤnden auf dem Seſſel ſizt und die<lb/>ſchwach und leiſe ihre Effekten anzeigt, und laſ¬<lb/>ſet ihn den Auftrag, unbehindert alle ihre alten<lb/>
Thuͤren und Schraͤnke und des Mannes lezte An¬<lb/>
denken gerichtlich zu verpetſchieren, vollziehen und<lb/>ſeht zu, ob ers kann, vor Herzklopfen und Mit¬<lb/>
leiden! —</p><lb/><p>Aber der juͤngere Zwilling, Vult, ſagte man<lb/>
in froherem Tone, der ſchwarzhaarige, pocken¬<lb/>
narbige, ſtaͤmmige Spizbube, der ſich mit dem hal¬<lb/>
ben Dorfe rauft und immer umher ſtreift, und<lb/>
ein wahres tragbares <hirendition="#aq">theatre aux Italiens</hi> iſt,<lb/>
das jede Phyſiognomie und Stimme nachſpielt —<lb/>
dieſer iſt ein anderer Menſch, dem gebt Akten un¬<lb/>
ter den Arm, oder einen Schoͤppenſtuhl unter den<lb/>
Steis. Wenn Walt am Faſtnachtstage in der<lb/>
tanzenden Schulſtube den Kandidaten und deſſen<lb/>
Geige mit dem Baͤßlein unterſtuͤzte und mit nichts<lb/>
huͤpfte als mit ungemein freudigen Blicken und<lb/></p></div></body></text></TEI>
[61/0071]
er das ThemisSchwert ausgeſchliffen, an zwan¬
zigtauſend Mann niedergehauen? So ſchikt ihn
doch, fuhr man fort, nur VerſuchsWeiſe mit ei¬
nem Gerichtsſiegel zu einer blaſſen Wittwe, die
mit gefalteten Haͤnden auf dem Seſſel ſizt und die
ſchwach und leiſe ihre Effekten anzeigt, und laſ¬
ſet ihn den Auftrag, unbehindert alle ihre alten
Thuͤren und Schraͤnke und des Mannes lezte An¬
denken gerichtlich zu verpetſchieren, vollziehen und
ſeht zu, ob ers kann, vor Herzklopfen und Mit¬
leiden! —
Aber der juͤngere Zwilling, Vult, ſagte man
in froherem Tone, der ſchwarzhaarige, pocken¬
narbige, ſtaͤmmige Spizbube, der ſich mit dem hal¬
ben Dorfe rauft und immer umher ſtreift, und
ein wahres tragbares theatre aux Italiens iſt,
das jede Phyſiognomie und Stimme nachſpielt —
dieſer iſt ein anderer Menſch, dem gebt Akten un¬
ter den Arm, oder einen Schoͤppenſtuhl unter den
Steis. Wenn Walt am Faſtnachtstage in der
tanzenden Schulſtube den Kandidaten und deſſen
Geige mit dem Baͤßlein unterſtuͤzte und mit nichts
huͤpfte als mit ungemein freudigen Blicken und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre01_1804/71>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.