Bald wurde deutlich, daß wissenschaftliche Fächer künftig Gottwalt's Fach seyn würden; oh¬ ne alle elterliche Vorliebe war leicht zu bemerken, daß er weislockig, dünnarmig, zartstämmig und, wenn er einen ganzen Sommer Schafhirtlein ge¬ wesen, noch schnee- lilienweis in solchem Grade war, daß der Vater sagte: einen Stiefel woll' er mit einem EiweisHäutgen, statt Pfund¬ leder ebenso gut besohlen als den Jungen zum Bauersmann einrichten. "Dabei hatte der Kna¬ be ein so gläubiges, verschämtes, überzartes, frommes, gelehriges, träumerisches Wesen, und war zugleich bis zum Lächerlichen so eckig und elastisch-aufspringend, daß zum Verdrusse des Vaters -- der sich einen Juristen nachziehen woll¬ te -- jedermann im Dorfe, selber der Pfarrer, sagte, er müße, wie Zäsar, der erste im Dorfe werden, nähmlich der Pfarrer. Denn wie? -- fragte man -- Gottwalt, der blauäugige Blon¬ din mit aschgrauem Haar und feiner Schneehaut, -- wie? dieser soll einmal ein Kriminalist werden und unter dem großen Triumphator Carpzov die¬ nen, welcher blos mit seinem Federmesser, wozu
Bald wurde deutlich, daß wiſſenſchaftliche Faͤcher kuͤnftig Gottwalt's Fach ſeyn wuͤrden; oh¬ ne alle elterliche Vorliebe war leicht zu bemerken, daß er weislockig, duͤnnarmig, zartſtaͤmmig und, wenn er einen ganzen Sommer Schafhirtlein ge¬ weſen, noch ſchnee- lilienweis in ſolchem Grade war, daß der Vater ſagte: einen Stiefel woll' er mit einem EiweisHaͤutgen, ſtatt Pfund¬ leder ebenſo gut beſohlen als den Jungen zum Bauersmann einrichten. „Dabei hatte der Kna¬ be ein ſo glaͤubiges, verſchaͤmtes, uͤberzartes, frommes, gelehriges, traͤumeriſches Weſen, und war zugleich bis zum Laͤcherlichen ſo eckig und elaſtiſch-aufſpringend, daß zum Verdruſſe des Vaters — der ſich einen Juriſten nachziehen woll¬ te — jedermann im Dorfe, ſelber der Pfarrer, ſagte, er muͤße, wie Zaͤſar, der erſte im Dorfe werden, naͤhmlich der Pfarrer. Denn wie? — fragte man — Gottwalt, der blauaͤugige Blon¬ din mit aſchgrauem Haar und feiner Schneehaut, — wie? dieſer ſoll einmal ein Kriminaliſt werden und unter dem großen Triumphator Carpzov die¬ nen, welcher blos mit ſeinem Federmeſſer, wozu
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0070"n="60"/><p>Bald wurde deutlich, daß wiſſenſchaftliche<lb/>
Faͤcher kuͤnftig Gottwalt's Fach ſeyn wuͤrden; oh¬<lb/>
ne alle elterliche Vorliebe war leicht zu bemerken,<lb/>
daß er weislockig, duͤnnarmig, zartſtaͤmmig und,<lb/>
wenn er einen ganzen Sommer Schafhirtlein ge¬<lb/>
weſen, noch ſchnee- lilienweis in ſolchem<lb/>
Grade war, daß der Vater ſagte: einen Stiefel<lb/>
woll' er mit einem EiweisHaͤutgen, ſtatt Pfund¬<lb/>
leder ebenſo gut beſohlen als den Jungen zum<lb/>
Bauersmann einrichten. „Dabei hatte der Kna¬<lb/>
be ein ſo glaͤubiges, verſchaͤmtes, uͤberzartes,<lb/>
frommes, gelehriges, traͤumeriſches Weſen, und<lb/>
war zugleich bis zum Laͤcherlichen ſo eckig und<lb/>
elaſtiſch-aufſpringend, daß zum Verdruſſe des<lb/>
Vaters — der ſich einen Juriſten nachziehen woll¬<lb/>
te — jedermann im Dorfe, ſelber der Pfarrer,<lb/>ſagte, er muͤße, wie Zaͤſar, der erſte im Dorfe<lb/>
werden, naͤhmlich der Pfarrer. Denn wie? —<lb/>
fragte man — Gottwalt, der blauaͤugige Blon¬<lb/>
din mit aſchgrauem Haar und feiner Schneehaut,<lb/>— wie? dieſer ſoll einmal ein Kriminaliſt werden<lb/>
und unter dem großen Triumphator Carpzov die¬<lb/>
nen, welcher blos mit ſeinem Federmeſſer, wozu<lb/></p></div></body></text></TEI>
[60/0070]
Bald wurde deutlich, daß wiſſenſchaftliche
Faͤcher kuͤnftig Gottwalt's Fach ſeyn wuͤrden; oh¬
ne alle elterliche Vorliebe war leicht zu bemerken,
daß er weislockig, duͤnnarmig, zartſtaͤmmig und,
wenn er einen ganzen Sommer Schafhirtlein ge¬
weſen, noch ſchnee- lilienweis in ſolchem
Grade war, daß der Vater ſagte: einen Stiefel
woll' er mit einem EiweisHaͤutgen, ſtatt Pfund¬
leder ebenſo gut beſohlen als den Jungen zum
Bauersmann einrichten. „Dabei hatte der Kna¬
be ein ſo glaͤubiges, verſchaͤmtes, uͤberzartes,
frommes, gelehriges, traͤumeriſches Weſen, und
war zugleich bis zum Laͤcherlichen ſo eckig und
elaſtiſch-aufſpringend, daß zum Verdruſſe des
Vaters — der ſich einen Juriſten nachziehen woll¬
te — jedermann im Dorfe, ſelber der Pfarrer,
ſagte, er muͤße, wie Zaͤſar, der erſte im Dorfe
werden, naͤhmlich der Pfarrer. Denn wie? —
fragte man — Gottwalt, der blauaͤugige Blon¬
din mit aſchgrauem Haar und feiner Schneehaut,
— wie? dieſer ſoll einmal ein Kriminaliſt werden
und unter dem großen Triumphator Carpzov die¬
nen, welcher blos mit ſeinem Federmeſſer, wozu
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre01_1804/70>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.