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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804.

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In der Apokalypsis stand so lang ein alter
verschimmelter Schimmel, bis ihn der Fleischer
bestieg, und aus ihr in der Zeit herüberritt. Der
poetische Lenz liegt weit hinter dem Gaul, wo
er eignes Fleisch statt des fremden trug, und mit
eignen Haaren den Sattel auspolsterte; er hat
das Leben und den Menschen -- dieses reitende
Folterpferd der wunden Natur -- zu lange ge¬
tragen. Der aus zitternden Fühlfaden gesponne¬
ne Notar, der den Tag vorher im Stalle, um
dessen Keilschrift der Zeit, um die Stigmen von
Sporen, Sattel und Stangengebiß herum gieng,
hätte für Geld keinen Finger in die Narben legen
können, geschweige am Tage darauf die Knuten-
Schneide oder den Sporendolch. Hätte doch der
Himmel dem Konföderazions-Thiere des Menschen
nur irgend einen Schmerzenslaut bescheert, damit
der Mensch, dem das Herz nur in den Ohren sizt,
sich seiner erbarmte. Jeder Thierwärter ist der
Plagegeist seines Thiers; indes er gegen ein an¬
deres, z. B. der Jäger gegen das Pferd, der Fuhr¬
mann gegen den Jagdhund, der Offizier gegen
Leute ausser dem Soldatenstande, ein wahres
weichwolliges Lamm ist.

In der Apokalypſis ſtand ſo lang ein alter
verſchimmelter Schimmel, bis ihn der Fleiſcher
beſtieg, und aus ihr in der Zeit heruͤberritt. Der
poetiſche Lenz liegt weit hinter dem Gaul, wo
er eignes Fleiſch ſtatt des fremden trug, und mit
eignen Haaren den Sattel auspolſterte; er hat
das Leben und den Menſchen — dieſes reitende
Folterpferd der wunden Natur — zu lange ge¬
tragen. Der aus zitternden Fuͤhlfaden geſponne¬
ne Notar, der den Tag vorher im Stalle, um
deſſen Keilſchrift der Zeit, um die Stigmen von
Sporen, Sattel und Stangengebiß herum gieng,
haͤtte fuͤr Geld keinen Finger in die Narben legen
koͤnnen, geſchweige am Tage darauf die Knuten-
Schneide oder den Sporendolch. Haͤtte doch der
Himmel dem Konfoͤderazions-Thiere des Menſchen
nur irgend einen Schmerzenslaut beſcheert, damit
der Menſch, dem das Herz nur in den Ohren ſizt,
ſich ſeiner erbarmte. Jeder Thierwaͤrter iſt der
Plagegeiſt ſeines Thiers; indes er gegen ein an¬
deres, z. B. der Jaͤger gegen das Pferd, der Fuhr¬
mann gegen den Jagdhund, der Offizier gegen
Leute auſſer dem Soldatenſtande, ein wahres
weichwolliges Lamm iſt.

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[128/0138] In der Apokalypſis ſtand ſo lang ein alter verſchimmelter Schimmel, bis ihn der Fleiſcher beſtieg, und aus ihr in der Zeit heruͤberritt. Der poetiſche Lenz liegt weit hinter dem Gaul, wo er eignes Fleiſch ſtatt des fremden trug, und mit eignen Haaren den Sattel auspolſterte; er hat das Leben und den Menſchen — dieſes reitende Folterpferd der wunden Natur — zu lange ge¬ tragen. Der aus zitternden Fuͤhlfaden geſponne¬ ne Notar, der den Tag vorher im Stalle, um deſſen Keilſchrift der Zeit, um die Stigmen von Sporen, Sattel und Stangengebiß herum gieng, haͤtte fuͤr Geld keinen Finger in die Narben legen koͤnnen, geſchweige am Tage darauf die Knuten- Schneide oder den Sporendolch. Haͤtte doch der Himmel dem Konfoͤderazions-Thiere des Menſchen nur irgend einen Schmerzenslaut beſcheert, damit der Menſch, dem das Herz nur in den Ohren ſizt, ſich ſeiner erbarmte. Jeder Thierwaͤrter iſt der Plagegeiſt ſeines Thiers; indes er gegen ein an¬ deres, z. B. der Jaͤger gegen das Pferd, der Fuhr¬ mann gegen den Jagdhund, der Offizier gegen Leute auſſer dem Soldatenſtande, ein wahres weichwolliges Lamm iſt.

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre01_1804/138>, abgerufen am 30.04.2024.