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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804.

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müssen," sagte Vult. -- "Ich habe genug," sagte
Knol, der bisher die eine Tabakswolke gerade so
gros und so langsam geschaffen hatte, wie die
andere. -- "Ich meines Parts, sagte Lukas,
kann mir nichts rechts daraus nehmen, und den
Versen fehlt auch der rechte Schwanz, aber gieb
her." -- "Fromme und traurige Sachen stehen
wohl darinn, sagte die Mutter. Gottwalt hatte
Kopf und Ohren noch in der goldnen Morgen¬
wolke der Dichtkunst, und außen vor der Wolke
stehe, kam es ihm vor, der ferne Plato als Son¬
nenball und durchglühe sie. Der Kandidat Scho¬
maker sah scharf auf den Pfalzgrafen und passete
auf Entscheidungen. Aus religiöser Freiheit glaub¬
te er, überall zu sündigen, wo er eilen sollte und
wagen. Daher hatt' er nicht den chirurgischen
Muth, seine Schulkinder ordentlich zu prügeln
-- er ängstigte sich vor möglichen Frakturen,
Wundfiebern und dergleichen -- sondern er suchte
sie von weitem zu züchtigen, indem er in einer
Nebenkammer dem Züchtling entsezliche Zerrge¬
sichter vorschnitt.

"Meine Meinung, -- fieng Knol mit bö¬

muͤſſen,“ ſagte Vult. — „Ich habe genug,” ſagte
Knol, der bisher die eine Tabakswolke gerade ſo
gros und ſo langſam geſchaffen hatte, wie die
andere. — „Ich meines Parts, ſagte Lukas,
kann mir nichts rechts daraus nehmen, und den
Verſen fehlt auch der rechte Schwanz, aber gieb
her.“ — „Fromme und traurige Sachen ſtehen
wohl darinn, ſagte die Mutter. Gottwalt hatte
Kopf und Ohren noch in der goldnen Morgen¬
wolke der Dichtkunſt, und außen vor der Wolke
ſtehe, kam es ihm vor, der ferne Plato als Son¬
nenball und durchgluͤhe ſie. Der Kandidat Scho¬
maker ſah ſcharf auf den Pfalzgrafen und paſſete
auf Entſcheidungen. Aus religioͤſer Freiheit glaub¬
te er, uͤberall zu ſuͤndigen, wo er eilen ſollte und
wagen. Daher hatt' er nicht den chirurgiſchen
Muth, ſeine Schulkinder ordentlich zu pruͤgeln
— er aͤngſtigte ſich vor moͤglichen Frakturen,
Wundfiebern und dergleichen — ſondern er ſuchte
ſie von weitem zu zuͤchtigen, indem er in einer
Nebenkammer dem Zuͤchtling entſezliche Zerrge¬
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[110/0120] muͤſſen,“ ſagte Vult. — „Ich habe genug,” ſagte Knol, der bisher die eine Tabakswolke gerade ſo gros und ſo langſam geſchaffen hatte, wie die andere. — „Ich meines Parts, ſagte Lukas, kann mir nichts rechts daraus nehmen, und den Verſen fehlt auch der rechte Schwanz, aber gieb her.“ — „Fromme und traurige Sachen ſtehen wohl darinn, ſagte die Mutter. Gottwalt hatte Kopf und Ohren noch in der goldnen Morgen¬ wolke der Dichtkunſt, und außen vor der Wolke ſtehe, kam es ihm vor, der ferne Plato als Son¬ nenball und durchgluͤhe ſie. Der Kandidat Scho¬ maker ſah ſcharf auf den Pfalzgrafen und paſſete auf Entſcheidungen. Aus religioͤſer Freiheit glaub¬ te er, uͤberall zu ſuͤndigen, wo er eilen ſollte und wagen. Daher hatt' er nicht den chirurgiſchen Muth, ſeine Schulkinder ordentlich zu pruͤgeln — er aͤngſtigte ſich vor moͤglichen Frakturen, Wundfiebern und dergleichen — ſondern er ſuchte ſie von weitem zu zuͤchtigen, indem er in einer Nebenkammer dem Zuͤchtling entſezliche Zerrge¬ ſichter vorſchnitt. „Meine Meinung, — fieng Knol mit boͤ¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre01_1804/120>, abgerufen am 30.04.2024.