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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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in der Alceste setzte er seine Ehre darein, die sehr gewichtige Frau Milder auf der linken Schulter aus der Unterwelt herbeizutragen. Dieses Kraftstück gelang ihm anfangs sehr gut, bis er einmal, ins Straucheln gerathend, seine schöne Bürde gefährdet glaubte, und dem Admet sehr vernehmlich zurief: Stümer, komm schnell her! Dieser eilte herbei, und mit einem lauten: Jesus, Maria! sank Alceste in seine Arme. Seitdem mußte Blume sich damit begnügen, die befreite Alceste an der Hand hervorzuführen.

Als kräftigen Baßsänger hörten wir kurze Zeit Herrn Fischer, in dessen Familie die Baßstimme erblich war. Von seinem Vater, der viele Jahre lang auf der Berliner Bühne wirkte, erzählte man, daß er aus Verdruß das Theater verlassen. Als er nämlich bei einer Gastrolle in Amsterdam den Sarastro sang, und auf dem tiefen E ruhte, rief ein holländischer Schiffscapitän im Parterre noch eine Terz tiefer: Bravo! Der junge Fischer erbte mit der schönen Stimme des Vaters auch dessen übergroße Empfindlichkeit. Da er überdies die Prinzessin irgend eines kleinen deutschen Fürstenthümleins geheirathet, so verleitete sein Hochmuth ihn zu den lächerlichsten Ausschreitungen. So war ihm das Geräusch zuwider, das in der Oper durch das gleichzeitige Umblättern von ein paar Hundert Textbüchern unvermeidlich entsteht. Es erschien ein Aufsatz in der Vossischen Zeitung, worin dies gerügt, und die Zuhörer in der ungeziemendsten Weise auf ihre Pflichten gegen den Sänger aufmerksam gemacht wurden. Der Autor blieb nicht lange verborgen, und das mit Recht erzürnte Publikum verlangte Abbitte von Fischer. Diese erwartete man bei der nächsten Aufführung des Figaro, und wir versäumten nicht uns dazu einzufinden. Als aber

in der Alceste setzte er seine Ehre darein, die sehr gewichtige Frau Milder auf der linken Schulter aus der Unterwelt herbeizutragen. Dieses Kraftstück gelang ihm anfangs sehr gut, bis er einmal, ins Straucheln gerathend, seine schöne Bürde gefährdet glaubte, und dem Admet sehr vernehmlich zurief: Stümer, komm schnell her! Dieser eilte herbei, und mit einem lauten: Jesus, Maria! sank Alceste in seine Arme. Seitdem mußte Blume sich damit begnügen, die befreite Alceste an der Hand hervorzuführen.

Als kräftigen Baßsänger hörten wir kurze Zeit Herrn Fischer, in dessen Familie die Baßstimme erblich war. Von seinem Vater, der viele Jahre lang auf der Berliner Bühne wirkte, erzählte man, daß er aus Verdruß das Theater verlassen. Als er nämlich bei einer Gastrolle in Amsterdam den Sarastro sang, und auf dem tiefen E ruhte, rief ein holländischer Schiffscapitän im Parterre noch eine Terz tiefer: Bravo! Der junge Fischer erbte mit der schönen Stimme des Vaters auch dessen übergroße Empfindlichkeit. Da er überdies die Prinzessin irgend eines kleinen deutschen Fürstenthümleins geheirathet, so verleitete sein Hochmuth ihn zu den lächerlichsten Ausschreitungen. So war ihm das Geräusch zuwider, das in der Oper durch das gleichzeitige Umblättern von ein paar Hundert Textbüchern unvermeidlich entsteht. Es erschien ein Aufsatz in der Vossischen Zeitung, worin dies gerügt, und die Zuhörer in der ungeziemendsten Weise auf ihre Pflichten gegen den Sänger aufmerksam gemacht wurden. Der Autor blieb nicht lange verborgen, und das mit Recht erzürnte Publikum verlangte Abbitte von Fischer. Diese erwartete man bei der nächsten Aufführung des Figaro, und wir versäumten nicht uns dazu einzufinden. Als aber

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[90/0098] in der Alceste setzte er seine Ehre darein, die sehr gewichtige Frau Milder auf der linken Schulter aus der Unterwelt herbeizutragen. Dieses Kraftstück gelang ihm anfangs sehr gut, bis er einmal, ins Straucheln gerathend, seine schöne Bürde gefährdet glaubte, und dem Admet sehr vernehmlich zurief: Stümer, komm schnell her! Dieser eilte herbei, und mit einem lauten: Jesus, Maria! sank Alceste in seine Arme. Seitdem mußte Blume sich damit begnügen, die befreite Alceste an der Hand hervorzuführen. Als kräftigen Baßsänger hörten wir kurze Zeit Herrn Fischer, in dessen Familie die Baßstimme erblich war. Von seinem Vater, der viele Jahre lang auf der Berliner Bühne wirkte, erzählte man, daß er aus Verdruß das Theater verlassen. Als er nämlich bei einer Gastrolle in Amsterdam den Sarastro sang, und auf dem tiefen E ruhte, rief ein holländischer Schiffscapitän im Parterre noch eine Terz tiefer: Bravo! Der junge Fischer erbte mit der schönen Stimme des Vaters auch dessen übergroße Empfindlichkeit. Da er überdies die Prinzessin irgend eines kleinen deutschen Fürstenthümleins geheirathet, so verleitete sein Hochmuth ihn zu den lächerlichsten Ausschreitungen. So war ihm das Geräusch zuwider, das in der Oper durch das gleichzeitige Umblättern von ein paar Hundert Textbüchern unvermeidlich entsteht. Es erschien ein Aufsatz in der Vossischen Zeitung, worin dies gerügt, und die Zuhörer in der ungeziemendsten Weise auf ihre Pflichten gegen den Sänger aufmerksam gemacht wurden. Der Autor blieb nicht lange verborgen, und das mit Recht erzürnte Publikum verlangte Abbitte von Fischer. Diese erwartete man bei der nächsten Aufführung des Figaro, und wir versäumten nicht uns dazu einzufinden. Als aber

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/98>, abgerufen am 19.05.2024.