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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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Aufschweben mit Rinald im dritten Akte der Armide kostete sie immer einige Ueberwindung; am Schlusse der Oper mußte eine Statistin statt ihrer den Drachenwagen besteigen und im Feuerregen davonfahren. Diese Stellvertreterin hatte aber gar zu wenig von der plastischen Ruhe der Milder; sie schwenkte die brennende Fackel mit so mänadischer Wuth über dem aufgelösten Haupthaare, daß das Publikum bald der Verwechslung inne wurde.

Als zweite Sängerin von ausgezeichnetem Verdienst stand neben der Milder Frau Seidler-Wranitzki, die ebenfalls aus Wien herüberkam. Ihr Mann, ein tüchtiger Geiger, war ein Berliner und ein Jugendbekannter von meiner Mutter und von Tante Jettchen, wir sahen daher öfter das Seidlersche kunstreiche Ehepaar in unserm Hause. Die Stimne der Seidler hatte nichts heroisches, wohl aber eine unbeschreibliche Anmuth. Sie glänzte als Gräfin im Figaro, als Zerline im Don Juan, als Fiordespina in Cosi fan tutte. Ihre beste Rolle war ohne Zweifel die Fanchon von Himmel. Hier vereinigten sich jugendliche Gestalt, melodischer Gesang und feines Spiel mit dem treuherzigen Wiener Dialekt zu dem lieblichsten Ganzen.

Eine große musikalische Ausbildung besaß die dritte Sängerin, Frau Schulz. Sie war stolz darauf, aus Ungarn abzustammen, wo die Frauen wegen ihrer Kraft und ihres Feuers berühmt sind. Ihre starke und ausdauernde Stimme entbehrte des Schmelzes. Man nannte sie mit allem Rechte eine Bravoursängerin, die die schwersten Sachen vom Blatte sang und nie ermüdete. Das Berliner Publikum, welches, wie überall, sehr bald die Schwächen der Darstellenden merkte, hatte wahrgenommen, daß Frau Schulz, vermöge ihrer guten Lunge, einen Triller länger ausspinnen könne,

Aufschweben mit Rinald im dritten Akte der Armide kostete sie immer einige Ueberwindung; am Schlusse der Oper mußte eine Statistin statt ihrer den Drachenwagen besteigen und im Feuerregen davonfahren. Diese Stellvertreterin hatte aber gar zu wenig von der plastischen Ruhe der Milder; sie schwenkte die brennende Fackel mit so mänadischer Wuth über dem aufgelösten Haupthaare, daß das Publikum bald der Verwechslung inne wurde.

Als zweite Sängerin von ausgezeichnetem Verdienst stand neben der Milder Frau Seidler-Wranitzki, die ebenfalls aus Wien herüberkam. Ihr Mann, ein tüchtiger Geiger, war ein Berliner und ein Jugendbekannter von meiner Mutter und von Tante Jettchen, wir sahen daher öfter das Seidlersche kunstreiche Ehepaar in unserm Hause. Die Stimne der Seidler hatte nichts heroisches, wohl aber eine unbeschreibliche Anmuth. Sie glänzte als Gräfin im Figaro, als Zerline im Don Juan, als Fiordespina in Cosi fan tutte. Ihre beste Rolle war ohne Zweifel die Fanchon von Himmel. Hier vereinigten sich jugendliche Gestalt, melodischer Gesang und feines Spiel mit dem treuherzigen Wiener Dialekt zu dem lieblichsten Ganzen.

Eine große musikalische Ausbildung besaß die dritte Sängerin, Frau Schulz. Sie war stolz darauf, aus Ungarn abzustammen, wo die Frauen wegen ihrer Kraft und ihres Feuers berühmt sind. Ihre starke und ausdauernde Stimme entbehrte des Schmelzes. Man nannte sie mit allem Rechte eine Bravoursängerin, die die schwersten Sachen vom Blatte sang und nie ermüdete. Das Berliner Publikum, welches, wie überall, sehr bald die Schwächen der Darstellenden merkte, hatte wahrgenommen, daß Frau Schulz, vermöge ihrer guten Lunge, einen Triller länger ausspinnen könne,

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Aufschweben mit Rinald im dritten Akte der Armide kostete sie immer einige Ueberwindung; am Schlusse der Oper mußte eine Statistin statt ihrer den Drachenwagen besteigen und im Feuerregen davonfahren. Diese Stellvertreterin hatte aber gar zu wenig von der plastischen Ruhe der Milder; sie schwenkte die brennende Fackel mit so mänadischer Wuth über dem aufgelösten Haupthaare, daß das Publikum bald der Verwechslung inne wurde. </p><lb/>
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[87/0095] Aufschweben mit Rinald im dritten Akte der Armide kostete sie immer einige Ueberwindung; am Schlusse der Oper mußte eine Statistin statt ihrer den Drachenwagen besteigen und im Feuerregen davonfahren. Diese Stellvertreterin hatte aber gar zu wenig von der plastischen Ruhe der Milder; sie schwenkte die brennende Fackel mit so mänadischer Wuth über dem aufgelösten Haupthaare, daß das Publikum bald der Verwechslung inne wurde. Als zweite Sängerin von ausgezeichnetem Verdienst stand neben der Milder Frau Seidler-Wranitzki, die ebenfalls aus Wien herüberkam. Ihr Mann, ein tüchtiger Geiger, war ein Berliner und ein Jugendbekannter von meiner Mutter und von Tante Jettchen, wir sahen daher öfter das Seidlersche kunstreiche Ehepaar in unserm Hause. Die Stimne der Seidler hatte nichts heroisches, wohl aber eine unbeschreibliche Anmuth. Sie glänzte als Gräfin im Figaro, als Zerline im Don Juan, als Fiordespina in Cosi fan tutte. Ihre beste Rolle war ohne Zweifel die Fanchon von Himmel. Hier vereinigten sich jugendliche Gestalt, melodischer Gesang und feines Spiel mit dem treuherzigen Wiener Dialekt zu dem lieblichsten Ganzen. Eine große musikalische Ausbildung besaß die dritte Sängerin, Frau Schulz. Sie war stolz darauf, aus Ungarn abzustammen, wo die Frauen wegen ihrer Kraft und ihres Feuers berühmt sind. Ihre starke und ausdauernde Stimme entbehrte des Schmelzes. Man nannte sie mit allem Rechte eine Bravoursängerin, die die schwersten Sachen vom Blatte sang und nie ermüdete. Das Berliner Publikum, welches, wie überall, sehr bald die Schwächen der Darstellenden merkte, hatte wahrgenommen, daß Frau Schulz, vermöge ihrer guten Lunge, einen Triller länger ausspinnen könne,

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/95>, abgerufen am 25.11.2024.