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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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Organes der Milder überlasse. Dazu besaß die Milder eine volle kaiserliche Figur vom schönsten Ebenmaaße, und eine natürliche Großartigkeit der Bewegungen, wie man sie nur bei den antiken Statuen findet. Weil aber nichts auf Erden vollkommen sein kann, so fehlte dieser schönen Stimme die Biegsamkeit; das Organ war wie ein Orgel- oder Glockenton zu mächtig, als daß es in leichten Koloraturen oder in waghalsigen Kadenzen sich versuchen konnte. Dieser Mangel kam aber bei den Gluckschen Opern gar nicht in Betracht; die Darstellungen der Iphigenie, Armide und Alceste gehörten zu den vollkommensten, die jemals auf der Bühne gesehn wurden. Wenn sie im Anfang der Iphigenie während des Unwetters aus dem Tempel mit majestätischem Schritte hervortrat, und die ersten hellen Töne in den Sturm der Elemente hinausschickte, so war es, als ob der Geist Gottes über dem Wasser schwebe. Als Armide glänzte sie besonders in der unvergleichlichen Scene, wo die Furie des Hasses vergebens versucht, Armidens Herz zu erkälten, und wo zuletzt die nachweinenden Bratschen den tiefsten Schmerz einer verwundeten Seele ausklagen.

Die Alceste wurde für die Milder zuerst auf die Berliner Bühne gebracht; sie ist auch mit ihr wieder davon verschwunden. Die Vorbereitungen dazu kosteten einige Anstrengung. Bei der geringen musikalischen Begabung der Milder waren nicht weniger als 30 Proben nöthig, ehe die erste Aufführung stattfinden konnte. Man hat mit Recht an dieser Oper getadelt, daß sie allzu tragisch sei, daß kaum im zweiten Akte ein freudiger Moment aufleuchtet, der gleich wieder von der Trauer verschlungen wird. Aber der Gesang der Milder war auch in der Klage

Organes der Milder überlasse. Dazu besaß die Milder eine volle kaiserliche Figur vom schönsten Ebenmaaße, und eine natürliche Großartigkeit der Bewegungen, wie man sie nur bei den antiken Statuen findet. Weil aber nichts auf Erden vollkommen sein kann, so fehlte dieser schönen Stimme die Biegsamkeit; das Organ war wie ein Orgel- oder Glockenton zu mächtig, als daß es in leichten Koloraturen oder in waghalsigen Kadenzen sich versuchen konnte. Dieser Mangel kam aber bei den Gluckschen Opern gar nicht in Betracht; die Darstellungen der Iphigenie, Armide und Alceste gehörten zu den vollkommensten, die jemals auf der Bühne gesehn wurden. Wenn sie im Anfang der Iphigenie während des Unwetters aus dem Tempel mit majestätischem Schritte hervortrat, und die ersten hellen Töne in den Sturm der Elemente hinausschickte, so war es, als ob der Geist Gottes über dem Wasser schwebe. Als Armide glänzte sie besonders in der unvergleichlichen Scene, wo die Furie des Hasses vergebens versucht, Armidens Herz zu erkälten, und wo zuletzt die nachweinenden Bratschen den tiefsten Schmerz einer verwundeten Seele ausklagen.

Die Alceste wurde für die Milder zuerst auf die Berliner Bühne gebracht; sie ist auch mit ihr wieder davon verschwunden. Die Vorbereitungen dazu kosteten einige Anstrengung. Bei der geringen musikalischen Begabung der Milder waren nicht weniger als 30 Proben nöthig, ehe die erste Aufführung stattfinden konnte. Man hat mit Recht an dieser Oper getadelt, daß sie allzu tragisch sei, daß kaum im zweiten Akte ein freudiger Moment aufleuchtet, der gleich wieder von der Trauer verschlungen wird. Aber der Gesang der Milder war auch in der Klage

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Organes der Milder überlasse. Dazu besaß die Milder eine volle kaiserliche Figur vom schönsten Ebenmaaße, und eine natürliche Großartigkeit der Bewegungen, wie man sie nur bei den antiken Statuen findet. Weil aber nichts auf Erden vollkommen sein kann, so fehlte dieser schönen Stimme die Biegsamkeit; das Organ war wie ein Orgel- oder Glockenton zu mächtig, als daß es in leichten Koloraturen oder in waghalsigen Kadenzen sich versuchen konnte. Dieser Mangel kam aber bei den Gluckschen Opern gar nicht in Betracht; die Darstellungen der Iphigenie, Armide und Alceste gehörten zu den vollkommensten, die jemals auf der Bühne gesehn wurden. Wenn sie im Anfang der Iphigenie während des Unwetters aus dem Tempel mit majestätischem Schritte hervortrat, und die ersten hellen Töne in den Sturm der Elemente hinausschickte, so war es, als ob der Geist Gottes über dem Wasser schwebe. Als Armide glänzte sie besonders in der unvergleichlichen Scene, wo die Furie des Hasses vergebens versucht, Armidens Herz zu erkälten, und wo zuletzt die nachweinenden Bratschen den tiefsten Schmerz einer verwundeten Seele ausklagen. </p><lb/>
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[84/0092] Organes der Milder überlasse. Dazu besaß die Milder eine volle kaiserliche Figur vom schönsten Ebenmaaße, und eine natürliche Großartigkeit der Bewegungen, wie man sie nur bei den antiken Statuen findet. Weil aber nichts auf Erden vollkommen sein kann, so fehlte dieser schönen Stimme die Biegsamkeit; das Organ war wie ein Orgel- oder Glockenton zu mächtig, als daß es in leichten Koloraturen oder in waghalsigen Kadenzen sich versuchen konnte. Dieser Mangel kam aber bei den Gluckschen Opern gar nicht in Betracht; die Darstellungen der Iphigenie, Armide und Alceste gehörten zu den vollkommensten, die jemals auf der Bühne gesehn wurden. Wenn sie im Anfang der Iphigenie während des Unwetters aus dem Tempel mit majestätischem Schritte hervortrat, und die ersten hellen Töne in den Sturm der Elemente hinausschickte, so war es, als ob der Geist Gottes über dem Wasser schwebe. Als Armide glänzte sie besonders in der unvergleichlichen Scene, wo die Furie des Hasses vergebens versucht, Armidens Herz zu erkälten, und wo zuletzt die nachweinenden Bratschen den tiefsten Schmerz einer verwundeten Seele ausklagen. Die Alceste wurde für die Milder zuerst auf die Berliner Bühne gebracht; sie ist auch mit ihr wieder davon verschwunden. Die Vorbereitungen dazu kosteten einige Anstrengung. Bei der geringen musikalischen Begabung der Milder waren nicht weniger als 30 Proben nöthig, ehe die erste Aufführung stattfinden konnte. Man hat mit Recht an dieser Oper getadelt, daß sie allzu tragisch sei, daß kaum im zweiten Akte ein freudiger Moment aufleuchtet, der gleich wieder von der Trauer verschlungen wird. Aber der Gesang der Milder war auch in der Klage

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/92>, abgerufen am 19.05.2024.