Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].fehlte es in meiner Jugend gänzlich. In dem modernen Berlin gab es nur ein paar gothische Gebäude; die kleine sehr vernachlässigte Kirche unseres Grauen Klosters, die Nicolai- und die Marienkirche. Ich konnte mir nicht erklären, warum sie mir weit besser gefielen, als der Dom, die Georgen- und Sophienkirche. In der Marienkirche ward es uns als eine besondere Merkwürdigkeit gezeigt, daß der berühmte Bildhauer Schlüter, der Verfertiger des großen Kurfürsten auf der Langen Brücke, einen von den mächtigen gothischen Pfeilern des Mittelschiffes halb durchgeschnitten, um daran die Kanzel zu kleben; ich konnte dies nur für eine Schimpfirung des edlen alterthümlichen Gebäudes halten. In der dresdner Gallerie entzückten mich die Bilder der gothischen Kirchen von Steenwyck, Peter Neefs u. a., eben sowohl durch die harmonische Gliederung der Pfeiler und Bogen, als durch die liebevolle Sorgfalt der Ausführung, aber ich hatte noch keinen deutlichen Begriff von der tiefsinnigen architektonischen Auffassung der Gebäude im Spitzbogenstyl. Nun drehte sich meine erste Unterhaltung mit Arnold um das mir noch unbekannte Münster von Strasburg. Seine begeisterten Schilderungen und sachverständigen Bemerkungen weckten in mir eine späte Reue, daß ich es versäumt, von Baden nach Strasburg hinüber zu fahren. Arnold belehrte mich, daß man erst, seitdem die alte Reichstadt Köln mit ihrem kolossalen Domfragmente preußisch geworden, angefangen habe, sich mit der gothischen Baukunst näher zu beschäftigen. Seitdem habe man ihre bewundernswerthe organische Durchbildung anerkannt, und viele Architekten, zu denen auch er gehöre, ständen nicht an, dieser Bauart für unsre deutschen Gotteshäuser den fehlte es in meiner Jugend gänzlich. In dem modernen Berlin gab es nur ein paar gothische Gebäude; die kleine sehr vernachlässigte Kirche unseres Grauen Klosters, die Nicolai- und die Marienkirche. Ich konnte mir nicht erklären, warum sie mir weit besser gefielen, als der Dom, die Georgen- und Sophienkirche. In der Marienkirche ward es uns als eine besondere Merkwürdigkeit gezeigt, daß der berühmte Bildhauer Schlüter, der Verfertiger des großen Kurfürsten auf der Langen Brücke, einen von den mächtigen gothischen Pfeilern des Mittelschiffes halb durchgeschnitten, um daran die Kanzel zu kleben; ich konnte dies nur für eine Schimpfirung des edlen alterthümlichen Gebäudes halten. In der dresdner Gallerie entzückten mich die Bilder der gothischen Kirchen von Steenwyck, Peter Neefs u. a., eben sowohl durch die harmonische Gliederung der Pfeiler und Bogen, als durch die liebevolle Sorgfalt der Ausführung, aber ich hatte noch keinen deutlichen Begriff von der tiefsinnigen architektonischen Auffassung der Gebäude im Spitzbogenstyl. Nun drehte sich meine erste Unterhaltung mit Arnold um das mir noch unbekannte Münster von Strasburg. Seine begeisterten Schilderungen und sachverständigen Bemerkungen weckten in mir eine späte Reue, daß ich es versäumt, von Baden nach Strasburg hinüber zu fahren. Arnold belehrte mich, daß man erst, seitdem die alte Reichstadt Köln mit ihrem kolossalen Domfragmente preußisch geworden, angefangen habe, sich mit der gothischen Baukunst näher zu beschäftigen. Seitdem habe man ihre bewundernswerthe organische Durchbildung anerkannt, und viele Architekten, zu denen auch er gehöre, ständen nicht an, dieser Bauart für unsre deutschen Gotteshäuser den <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0449" n="441"/> fehlte es in meiner Jugend gänzlich. In dem modernen Berlin gab es nur ein paar gothische Gebäude; die kleine sehr vernachlässigte Kirche unseres Grauen Klosters, die Nicolai- und die Marienkirche. Ich konnte mir nicht erklären, warum sie mir weit besser gefielen, als der Dom, die Georgen- und Sophienkirche. In der Marienkirche ward es uns als eine besondere Merkwürdigkeit gezeigt, daß der berühmte Bildhauer Schlüter, der Verfertiger des großen Kurfürsten auf der Langen Brücke, einen von den mächtigen gothischen Pfeilern des Mittelschiffes halb durchgeschnitten, um daran die Kanzel zu kleben; ich konnte dies nur für eine Schimpfirung des edlen alterthümlichen Gebäudes halten. In der dresdner Gallerie entzückten mich die Bilder der gothischen Kirchen von Steenwyck, Peter Neefs u. a., eben sowohl durch die harmonische Gliederung der Pfeiler und Bogen, als durch die liebevolle Sorgfalt der Ausführung, aber ich hatte noch keinen deutlichen Begriff von der tiefsinnigen architektonischen Auffassung der Gebäude im Spitzbogenstyl.</p><lb/> <p>Nun drehte sich meine erste Unterhaltung mit Arnold um das mir noch unbekannte Münster von Strasburg. Seine begeisterten Schilderungen und sachverständigen Bemerkungen weckten in mir eine späte Reue, daß ich es versäumt, von Baden nach Strasburg hinüber zu fahren. Arnold belehrte mich, daß man erst, seitdem die alte Reichstadt Köln mit ihrem kolossalen Domfragmente preußisch geworden, angefangen habe, sich mit der gothischen Baukunst näher zu beschäftigen. Seitdem habe man ihre bewundernswerthe organische Durchbildung anerkannt, und viele Architekten, zu denen auch er gehöre, ständen nicht an, dieser Bauart für unsre deutschen Gotteshäuser den </p> </div> </body> </text> </TEI> [441/0449]
fehlte es in meiner Jugend gänzlich. In dem modernen Berlin gab es nur ein paar gothische Gebäude; die kleine sehr vernachlässigte Kirche unseres Grauen Klosters, die Nicolai- und die Marienkirche. Ich konnte mir nicht erklären, warum sie mir weit besser gefielen, als der Dom, die Georgen- und Sophienkirche. In der Marienkirche ward es uns als eine besondere Merkwürdigkeit gezeigt, daß der berühmte Bildhauer Schlüter, der Verfertiger des großen Kurfürsten auf der Langen Brücke, einen von den mächtigen gothischen Pfeilern des Mittelschiffes halb durchgeschnitten, um daran die Kanzel zu kleben; ich konnte dies nur für eine Schimpfirung des edlen alterthümlichen Gebäudes halten. In der dresdner Gallerie entzückten mich die Bilder der gothischen Kirchen von Steenwyck, Peter Neefs u. a., eben sowohl durch die harmonische Gliederung der Pfeiler und Bogen, als durch die liebevolle Sorgfalt der Ausführung, aber ich hatte noch keinen deutlichen Begriff von der tiefsinnigen architektonischen Auffassung der Gebäude im Spitzbogenstyl.
Nun drehte sich meine erste Unterhaltung mit Arnold um das mir noch unbekannte Münster von Strasburg. Seine begeisterten Schilderungen und sachverständigen Bemerkungen weckten in mir eine späte Reue, daß ich es versäumt, von Baden nach Strasburg hinüber zu fahren. Arnold belehrte mich, daß man erst, seitdem die alte Reichstadt Köln mit ihrem kolossalen Domfragmente preußisch geworden, angefangen habe, sich mit der gothischen Baukunst näher zu beschäftigen. Seitdem habe man ihre bewundernswerthe organische Durchbildung anerkannt, und viele Architekten, zu denen auch er gehöre, ständen nicht an, dieser Bauart für unsre deutschen Gotteshäuser den
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/449 |
Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/449>, abgerufen am 16.07.2024. |